Spiegelblind
Teil 1
1987 aufgeführt im "Haus der Volkskunst" in Leipzig
Musikgedichte
Idee/ Texte / Sprecher: Christian Heckel
Musikalische Konzeption / Piano: Erwin Strache: p
Saxophon: Heiner Reinhardt
Volkslied & Motto
Die Heimat hat sich schön gemacht / Und Tau blitzt ihr im Haar / Die Welle spiegeln ihre Pracht / Wie frohe Augen klar // Die Wiese blüht, die Tanne rauscht / Sie tun geheimnisvoll / Frisch das Geheimnis abgelauscht / Das uns beglücken soll // Wir brechen in das Dunkel ein / Verfolgen Weg und Spur / Und werden wir erst wissend sein / Fügt sich uns die Natur
Einrichtung im Spiegel
Nah am Spiegel, kranker Mohn.
Der Nagel scheint nicht fest zu sein.
Und Risse blühen aus dem Widerschein.
In ihnen seh ich Wege.
Wege im Widerschein. Ich stehe.
Mein Gesicht bewegte sich im Rahmen.
Die vor mir kamen, hießen Kain.
Ich habe mich verfahren.
Verfahren im Mohn. Die Landschaft scheint
nicht fest zu sein. Meine reparierten Schuhe
poliert ein Widerschein. Die Wipfel haben Ruhe.
Blinder Spiegel: Sprich mir Hohn. Ich gehe.
Und kehr zurück mit einem Stein. Wehe,
ich richte mich in Rissen ein.
Eine von diesen Feten
Gradzu in die Eierstöcke.
Grau sind die Wasser der Gier.
Ich mische warme Röcke.
Meine Hand ein heiliges Tier.
In Haaren versunken die Zeit,
Bewuchert weit und breit
verlorene Schanzen, einsame
Wanzen und überall
schneit es - als wollten wir
selber tanzen.
Hebe sie hoch, kreide dich an:
Just one more for peace and fun.
Wollte denn Jemand den Tod besiegen?
Er blieb - ich weiß - zu Hause liegen.
Regen und Wein
Du hast den Wein ausgetrunken,
es war die letzte der Flaschen.
In deinen Taschen nur Geld und Sand.
Ein Taxi brachte dich ins Niemandsland.
An der Kreuzung wird niemand mehr
dein Bruder sein. Ausgespülte Gesichter,
schmutzige Lichter – stehen bleibend
nennst du nichts mehr dein.
Ende der Straße. Der Werbemann hebt
Lachend sein Glas. Die Stadt wird Gras,
blüht dir zu Füßen. Du übergehst es, als
wärst du fremd und würdest nun aus
Träumen grüßen.
Durstgestillt, doch um den Rausch betrogen.
Die Flasche ist nur noch fünf Pfennig wert,
Und fliegt im hohen Bogen –himmelgleich
Unendlich ausgeleert.
Erinnerung
Ein Feuer habe ich geliebt,
das ist lange her. Das Feuer fragte:
was ist dein Begehr, und ich sagte:
mehr, Feuer, mehr. Es brannte.
Für zwei Stunden war es hell.
Der See jedoch vereiste schnell,
und Raben kamen als Wächter.
Ich nannte das: bereit sein fürs
Gelächter.
Asche war das Gelächter. Wohin
wurde sie getrieben? Die Nacht
dann wurde schwarzes Eis.
Ich lief bis ins Atom und weiß:
nichts ist davon geblieben.
Nur Raben, Anzahl sieben.
Und ein Phantom... das
wollte ich - lange her - lieben.
Dilemma
Ich gehe auf schwarzem Eis.
Schritte sind Zungen
und sprechen von Sonne,
die Morgen kommt und taut.
Sie kommt und taut und handelt
mit Licht. Ich aber muß tauchen.
Ihre Wärme erreicht mich nicht.
Ich bin das schwarze Eis.
Einmal zu stark, dann zu
zerbrechlich. Und Morgen,
wer weiß, scheint die Sonne
tatsächlich.
Leipzig am Morgen
Schlafend noch hat sich dein Kopf erhoben.
Oben schweben Drachen mit Federn aus Metall.
Unten im Labyrinth Gehirne auf Rädern.
Zeit verrinnt.
Läufer, die im Startloch knien.
Und von Espenhain wehen grauen Fahnen
über Aschebahnen und verkünden
unbekannte Allergien.
Bagger durchwühlen die Lauer,
wir verheizen den Karbon. Kirchen,
Landschaften – nicht ist von Dauer.
Industrienebel wird zur Mauer.
Läufer, die vor Läufen fliehen.
Und in Espenhain stehen blaue Damen
hinter kahlen Rahmen, was bis gestern
ganz unmöglich schien.
Grüne Welle wiegt die Stadt, den Taubenflaum.
Die Maurerkelle liegt im Schaum, den ein Künstler
geschlagen hat. Fortgeschwommen sind vom Brühl
die Felle. Vielleicht geht es heute noch mal glatt.
Baustelle
Ich bin in ein Loch gefallen.
Meine Freunde sitzen in einem Café,
das geschlossen hat.
Und tote Türen lallen auf dem Canapé
von deiner Hand, die nichts gemacht hat.
Eine machtlose Hand? Ein Weg, den ich
noch nicht gegangen bin?
Ich stand am Rand, da war ein Steg,
und aus dem Loch schob sich mein Kinn.
Ich bin aus dem Loch gekrochen.
Meine Freunde ziehen den Vorhang zu
und spielen weiter.
Auf hohem Dache liegt die Leiter.
Das Gerüst wird morgen abgebaut.
Die toten Türen lallen weiter.
Spiegelblind
Ich hab den Spiegel von der Wand genommen.
Die Einrichtung wird Morgen abgeholt.
Verschwommen erinnere ich mich an Blüten.
Oder waren es Risse?
Immerhin sind meine Schuhe neu besohlt.
Und ich habe mich rasiert. Nackte Wände
nun, vor jeder Himmelsrichtung eine.
Die Wipfel ruhen, und es ruhen immer mehr.
Mir aber jucken die Hände. Der Raum ist endlich
leer. Der Raum ist leer und endlich. Die Landschaft
ein Weg.
Mohn zerbrach mein Siegel, es wird verständlich:
im Spiegel war ich nur ein Spiegelbild, ein Mieter
zwischen Krieg und Schild.
Ich kann nicht wohnen zwischen Schilden und
Kriegen und bleibe doch zwischen den Hungrigen
und den Satten.
Wer kann schon siegen? Mir weit voraus gehen
gestrige Schatten.
SPIEGEL BLIND
Teil II
"Wir könnten das Verhältnis zwischen Geist und Materie,
zwischen unserem Bewußtsein und unserem Gehirn
bildlich etwa analog zu dem Verhältnis zwischen Licht
und Spiegel verstehen. Im leeren Raum
bleibt Licht unsichtbar... So hell ein Spiegel auch immer
leuchtet, in keinem Fall erzeugt er das Licht selbst,
das er ausstrahlt."
H. v. Ditfurth
Die Texte entstanden im Mai 1989 als Neufassung eines Experimentalstückes gleichen Namens, das der Autor seit 1985 mit Musikern der Leipziger Jazz-Musik-Szene an verschiedenen kleinen Bühnen der DDR aufführte. Das in den Texten verwendete Zeichen & kann als und gelesen bzw. gesprochen werden, es kann aber auch als Leerzeichen verstanden werden. Das bleibt der rhythmischen Intention überlassen.
Die Geschichte, die ich erzähle, ist.
Zweimal hatten die Glocken der Kirche geschlagen, es mußte halb 8 sein oder halb 9, vielleicht auch halb 10.
Ich schaute in mein Gesicht & da war kein Spiegel & es war ein Morgen ohne Gegenwart.
Ihre Beine waren nackt & sie stieg vor mir die Treppe empor.
Wir glaubten uns an einem Tag im Jahre 1989 zu befinden, aber wir waren versackt in einem Zeitloch, wo alles, was geschehen kann, auch geschieht.
Das WoOrt ist der Anfang aller Täuschungen.
WoOrte wälzen mich schlaflos, hocken in meinem Mund unter der Zunge wie Flüchtlinge unter einer Brücke. Aber ich bin nicht das WoOrt, gestatten: ich bin der Mann mit dem Vogelkopf :
"spich spich endlich,
lach tein mal aff
unt zagg
spich spich"
- sprich dich ruhig aus.
Ich will dir erzählen, wie es wirklich war: Ich wachte auf & hatte einen klaren Kopf & schob meine Hand zwischen ihre Schenkel & schaute in den Spiegel & da war nichts als der Raum & in dem Raum keine Spur von mir.
Ich hörte Versprechen aber keine Sprache im WoOrt & eine mutmaßliche Leere erfüllte sich an jenem Tag.
Ich erinnerte mich wieder an die Geschichte.
Die Geschichte, die ich erzähle, ist das WoOrt - ist der Anfang
aller Täuschungen ist die Geschichte ist.
Ich war verschwunden in der Tiefe des Spiegels, seine Oberfläche hatte sich in meinem Rücken geschlossen.
Ich alterte & sah Männer und Frauen, gekleidet in weißes Leder, die auf ihren Rücken verbotene Türen trugen. Sie schwangen aufgeregt & zornig Fahrradketten & trieben den Uhrmacher der Stadt in Richtung Hafen. Sie hetzten ihn, ein Tier wie sie, durch die Straßen im Namen der Freiheit.
Sie glaubten, er habe ihre Zeit gemacht & ihre Zeit erschien ihnen wie ein andauernder Koitus interruptus.
Und als der Uhrmacher erschöpft & verwundet zusammenbrach, stürzten einige aus der Meute auf ihn & man konnte ihre zu Dreiecken gefeilten Vorderzähne sehen ‑ es waren Hyänen, die in einer Savanne einen Kadaver zerfetzten. Das alles geschah lautlos. Nur im Nachbarraum meldete ein Telefon das Beseztzeichen.
Aber das sind Träume & alle Träume sind.
Meine Hand war eine Feder zwischen ihren Schenkeln, ein Pfauenauge streichelte ihre Brüste & vom Flughafen kam der Mann mit dem Vogelkopf, entrollte ein Plakat und rief "spich spich“ & subatomare Teilchen posthumanoider Intelligenz tasteten die Aura von Personen ab, die sich maßstabgerecht auf ihren Magnetbahnen bewegten in elliptischer Rotation um ihren genetischen Kern. Ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht etwas Falsches sagen: aber die Geschichte, die ich erzähle, ist.
Ich spürte an meinen Fingerspitzen ihre warme Feuchtigkeit & ich erinnerte mich wieder an die Geschichte, die ist. Es war so‑. Ich hatte keinen Namen & ich war nicht ich & ich stand an einem Feuer im Regen & ich dachte: Du hast keinen Namen und stehst an einem Feuer im Regen.
Es war ein Raum, aber da waren keine Wände. Es war ein Abbild, aber da war kein Spiegel. Es war Erfindung & Versuchung des Lebens & es wogte hin und her wie ihre Hüften vor mir auf der Treppe wogten und in diesem Wogen war es leicht ihr zu folgen.
Solang ich zweifle werde ich nicht das Opfer von Verzweiflung, denn Zweifeln ist Genuß, Verzweiflung aber ein Zustand der Täuschung. Ich glaube nicht an Entropie und Information denn ich bin Entropie und Information.
Der Lurch sitzt am Anfang eines neuen Zeitalters auf einem Stein. Er bewegt sich nicht. So erweckt er den Anschein, ein Teil des Steines zu sein und schützt seine Existenz, indem er scheinbar nicht existiert.
Ich stand neben einem Feuer & es regnete & aus der Ferne war das Klappern von Schreibmaschienen zu hören.
Traum oder Trauma. Wenn ich sage "Ich lüge" ist das eine Lüge – aber die Geschichte, die Ich erzähle: ist.
Ich wollte es haben im Regen am Feuer auf der Treppe. Ich wollte es haben, weil ich es brauchte in dem Moment: Einen halben Liter Bier & ein Gespräch über Nichts Die Namen aller liebesfähigen Frauen & Sterne
& Männer Kräuter von Grönland & einen Sonnenaufgang nach dem anderen wollte ich haben & wollte als politischer Narr die Summe aller Fiktionen wissen & verstehen & vergessen.
Ich erhob mich von der Bank, die vor dem Abgrund stand, von der man die Aussicht auf die Katastrophen genießt - als Zeuge beteiligt an der Tat.
Ich trug weder Schuld noch eine reine Weste & ich war nackt wie immer & all meine Geständnisse waren wertlos, denn ich hatte kein Protokoll unterschrieben, auch keinen der sieben Durchschläge für sieben trostlose Nächte, die sieben mal sieben Seiten für sieben mal sieben Schubladen wurden nicht durch mein Zeugnis zu Ablaßbriefen für die sieben Raben, die ihre Schwester vergewaltigt hatten & so konnten die märchenhaften Verwalter nur noch mit meiner Unzurechnungsfähigkeit rechnen.
Ich brach ihr verdammtes Siegel auf, mit dem sie das große Buch der Gegenwart verschlossen hatten, & ich entdeckte all die unbesehriebenen Seiten. Das Ganze war ein Märchen ohne Fabel & Figuren & Happyend & dann bekam ich es auf der Treppe im Regen am Feuer bekam ich, was ich brauchte & ich kann nicht genau sagen, was es eigentlich gewesen ist, aber ich war nicht länger ein unverwundbares Neutrum, verwahrt im gläsernen Sarg.
Ich wurde zu einem Reisenden & wenn mich etwas juckt dann, kratz ich mich an den Wachttürmen & wenn ich einer Salzsäule begegne so wende ich mich nicht nach ihr um & in allen Städten höre ich den Tagesschlager dröhnen & höre wie in allen Kaufhäusern die Null ausgerechnet wird & wohin ich auch reise
ist es eine Reise durch den Riß & ich vergebe was ich bekam
Das Symbol war, bevor es zu einem Symbol wurde, ein Ei, von dem niemand wußte, woher es stammt.
Eines Tages zerbrach das Ei & an diesem Tag kroch ein Tier aus dem Ei & das Tier fraß die Schale, die es zerbrochen hatte.
Ich erwachte mit klarem Kopf, die Glocken der Kirche hatten zweimal geschlagen. Es war halb. Zwei Hälften, die sich fügten zu einem Witzgedicht. Zur einen Hälfte ist Adam ein Blatt, zur anderen Hälfte ißt Eva eine Feige‑ und niemand weiß: ist sie feige oder ißt sie eine Feige oder wann blättert Adam um und ab.
Es mußte halb 8 sein, vielleicht auch später. Ich hatte das Ganze im Blick, aber das Ganze sah nur sich selbst & ich schaute in den Spiegel und bemerkte, daß er über Nacht blind geworden war.
Eine Hand zwischen ihren Schenkeln stieg ich nach ihr die Treppe empor & plötzlich stand der Mann mit dem Vogelkopf vor mir und forderte "spich spich!" aber ich schob ihn beiseite.
Ich fragte mich, wieso wir uns noch immer auf der Treppe befanden, ob ich mich nicht irrte, ob die Treppe nicht vielleicht eine Metapher ist oder ob nicht das ganze Leben eine Metapher ist oder eine Treppe ‑ je nachdem & jedenfalls war sie feucht & sie genoß meinen Genuß & ich ihren & dann blieb sie unerwartet stehen, um aus ihrer Tasche einen anderen Schlüssel zu fischen & mir wurde klar, daß nicht jeder Tag mit einer solchen Geschichte beginnt. Aber die Geschichte, die ich erzähle, ist.
HERAKLES IN DESSAU
Zur Intermedia‑Aktion von Lutz Dammbeck im Bauhaus Dessau am 30.11.1985
Mit Hunderten nehme ich leise Platz im Raum # Die Bomben sind gefallen # Erwarte schutzlos Nordwind: weht Marschgesänge Rüstungsverträge Friedensverträge vor sich her # Trostloses Spektakel zwischen der Größten Oper der Deutschen und Dalis horizontlosem Dom
Hier in dieser tödlichen Ebene werde ich mich ihm stellen, ihn erwarten mit kaltfeuchten Händen. Alleen werden aufbrechen und ihre Erbauer preisgeben und Kolonnen von gepanzerten Mumien werden bereit stehen für den mächtigen Manipulator, für Nordwind
Nordwind wird sich an den Kanten der Häuserblöcke wetzen und die metaphysische Fanfare des Schweines blasen: Nordwind ist hier geboren. Wieso wird seine Heimkehr
Für unmöglich gehalten?
Das Vergessen ruht in den begradigten Trichtern
Es wird aber eine lautlose Schlacht stattfinden
Zwischen dem Zement der Kreuze und meiner Trauer
Zwischen der Kernspaltung und meinem Schweigen
Zwischen dem Zuckerguß und meiner Resignation
Zwischen der Norm und meiner Haut
Und Organe werden sich während der Schlacht verwandeln in satanische Gebete
Schließe die Augen. Sind die Bomben wirklich gefallen
Werden sie noch fallen, fallen sie noch immer: es ist ein Film
Nur ein Film – schlaf nicht ein - Massenveranstaltungen
Aufmärsche Trommeln Hymnen Schreie: „Nordwind
kommt! tretet an zum Nordwind!“
Das ist die Stunde der Uniformen
Nur ein kleiner Hulahopp vom Massensport zum Massenmord # Von der Turnhose zum Stahlhelm
Kind: die letzte Chance: das Kind im Werwolf der Akten # Das Kind mit jedem Filmmeter # Zerreiße die Projektionsfläche der Film endet nicht # Bilder auf deinem Rücken, Bilder im Gesicht
Die ganze absurde Gewalt und Grausamkeit dieses Jahrhunderts # Klopft mich ab mit chirurgischen Hämmern. Geschichte ist nur ein Begriff # Aber was geschieht ist das Unbegreifliche
Öffne die Augen. Erblicke das Licht der Welt.
Dämmerungsschalter klicken, das Publikum räuspert sich und geht
Als das Publikum applaudierend ein in die geheimen Protokolle: gieße alles in Zelluloid
Sechzehn Millimeter bis zur Alleinherrschaft, Genosse!
Luft kann nicht gelüftet werden
Ihr müßt sie mit Nordwind teilen
Der Projektor sucht sich seine Ziele, verteilt Mythen auf flüchtende Körpern Vollgestopft mit Gehaltsauszügen und Nikotin und Urlaubsplatzschecks und quälenden Erinnerungen
Küsse tropfen vom Portomonnaie # die Zukunft sitzt auf ihren Tränendrüsen
Nimm Worte in den Mund wie Kirschen und spuck die Kerne auf den Marmor der Treppen zum Heiligsten. Mädchenstaffeln schwingen die Hüften. Kollektives Lächeln. Meine Hand winkt aus dem Schutzanzug.
Habe mich gestellt.
Wurde gestellt.
Blau karrierte Bettwäsche. Nackt auf einem kahlen Platz: erwarte Nordwind, jetzt!
Hinter mir Schatten meiner Tode # eins # zwei # drei # vier # Bewege dich in der Kälte kräftig und bedenkenlos
Werde mir meiner Energie bewußt und verliere die Angst vor einer neuen Daseinsform
Sei Heil und Faust und Dienstschluß
Sei verloren unentdeckt vergiftet bewirtet abgewichst
Sei wunderbar und halte Schritt
halte den Rhythmus
Die Struktur schwitzt, der Prozeß pinkelt # Und die roten Haare der Frauen signalisieren Inseln in schwarzen Gehirnströmen # Abgestoßene Häute markieren den Weg allen Fleisches # Alle sind zum großen Fest geputzt: Zeit ist die Braut der Geschichte was werden sie für Kinder zeugen?
Nordwind hat sie getraut, seine Glocken der Vermählung sind fallende Bomben
Gibt es
denn
eine
vernünftige
Erklärung
für ihre Anwesenheit?
Pure Lust brachte sie zueinande: Wunsch nach Gesängen und die Angst vor dem Orchester # Und doch bauen sie Podeste und Lautsprecher, drucken Einlaßkarten und Plakate, bleiben beteiligt am kollektiven Unbeteiligtsein
Eine alte Sage vom Kampf des Weichen und des Harten: so stehen wir beieinander und berühren uns nicht. Erwarten die Strafe.
Erwarten Nordwind und
schön
sind die Frauen und schön
sind die Männer und
Spermien marschieren in die Eierstöcke und schwenken
Fahnen Staaten Bratkartoffeln und ich liebe euch ihr lästerlichen Trauzeugen
Stalin verteidigt noch immer
Wagners Barrikaden
gegen das Geld
im noch immer brennenden Dresden
brennen die Visionen aus tropft
Phosphor von den Dächern
Die Weber haben einen Kokon aus Demagogie über alle Ausgänge gezogen,
Keiner verläßt den Raum!
Krieche unter duftende Röcke # suche Schutz hinter breiten Schultern # verberge mich in einem Gespräch über die Abfahrtzeiten der Züge nach Leipzig
Herakles betrinkt sich in der "Lobuschstube" # die Hydra hat das Gesicht der absoluten Leere # In der Ebene von Dessau treffen Nordwind und ich aufeinander # Wünschte nie geboren zu sein. Halte dem Anblick nicht stand. Bestehe diesen Kampf nicht. Bin nicht nur der Verlierer, bin ein überhitzter Humunculus aus seinem Anstandshut. Diesen Tod
werde ich nicht sterben können, nicht einmal dazu reicht die Kraft.
Allein der Klang der schweinischen Fanfare macht aus mir einen Hampelmann mit hängenden Schultern und schiefen Absätzen.
Wo ist der Stolz
Wo ist der Mut
Das Ego war eine Fata Morgana
Laßt mich doch sterben mit den Bäumen und zu Asche werden mit dem Gras, der Kohle und den Büchern
Jetzt ist er ganz nah
sehe nichts mehr
Kulisse. Stadt. Verschwunden. Brennende Lineale zischen über meinen Kopf
Ultraschall tastet mich ab
Nordwind hüllt mich ein
In seinem Zentrum verliere ich meine Persönlichkeit # kanalisiere fremde Energie in meinen Venen und offenbare das Spiel der Neuronen
Bin.
Nordwind.
Wüte in einer zerstörten Ebene bis der Film reißt, bis es plötzlich hell wird im Saal und alle können den großen Ventilator sehen und hören und aufstehen und die Plätze verlassen und ... kehren.
1986 / Überarbeitung 2013
#
DAS WERK DER UHR
ein Experiment
Geschichte/Talumar:
"Sie war ein Fisch, als sie auf mich zukam, irgendwo in einer dieser tristen Straßen, die unter plötzlicher Sonneneinstrahlung wie ein Gruselkabinett wirken.
Sie verwandelte sich mit jedem Schritt, aber Einzelheiten konnte ich nicht genau erkennen. Der Film, der ablief, war entweder übermalt – oder es schleuderte irgendwer künstliche Blitze. Wo war ich in diesem Film?
Ich konnte mich nicht sehen.
Ließ es geschehen.
Je mehr ich sah, desto selbstverständlicher wurde mir meine Rolle.
Auf einer gelbblinkenden Ampel saß ein kleiner Mann, alt, Zigarre rauchend, ein verbrauchtes und langweiliges Bild. Hinter einem offenen Fenster stellte ein Mädchen Gras in eine Vase. Alles schien verborgen in diesem Straßenzug mit seinen unersättlichen Schaufensteraugen voll fremder Pupillen, die Iris ein Chamäleon; wo war ich stehen geblieben ...
Saßen wir nicht am Feuer, war das nachts, ja, sie kam auf mich zu: Rudel von Wölfen ohne Köpfe stiegen aus dem ausgetrockneten Flußbett. Ich weiß noch, ich dachte, hier sollte eine Eisenbahnstrecke verlegt sein, der Ort eignet sich für Verbindungen.
Sie hatte jedenfalls etwas - ein Tuch mit weißen Punkten, innen blau. Ein unmögliches Tuch, fand ich, mit dem sie ihren haarlosen Nacken zu bedecken suchte. Aus einem Koffer, dessen Deckel von Innen aufgeklappt wurde, stieg ein Demonstrationszug, masturbierte, löste sich in Rauch auf. Ein nackter Mann flog ineinandergekrümmt drei Meter über der Straße und schrie. Er entschwand meinen Blicken, mein Blick entschwand mir, die Frau bückte sich und hob ein Telegramm auf. Der vierarmige Schneider mit dem Perserkopf huschte aus einer Hausnummer, nahm mich sacht am Arm und sagte nah an meinem Ohr: „sei vorsichtig, sie holen dich und sie bringen dich ...“
„Wer?“, fragte ich überrascht zurück. Er neigte den Kopf, grinste und verdrückte sich durch ein Nadelöhr.
Uber mir begann es zu klopfen, als wäre die Luft fest - eine Zwischendecke aus Beton.
Die Frau war bis zu den Waden eingesunken im Gehgestein, das Licht wurde stetig greller, bis ich nichts mehr wahrnahm als aufeinander zustrebende Fassaden. Ich hatte nicht das Gefühl, hier raus zu müssen.
Weißt du, was ich damit sagen will: das alles geschah in weniger als zwei Sekunden, wenn Sekunden, die ich meine, Zeit sind.
Das Bild ist die Zeit.
Reflexion/Monolog
Klaus sucht das Gefühl, er rennt jetzt schon zum dritten Mal an diesem Café vorbei, in dem ich sitze. Die Abstände verkürzen sich, dabei steht seine Lebenszeit fest. Der grüne Lastkraftwagen hätte ihn fast überrollt, geistesgegenwärtig war er zur Seite gesprungen. Klaus nimmt es nicht so schwer, er mag Schlagsahne. Und seine kleine Freundin, die an ihn denkt, wenn sie im Lohnbüro Rechnungen schreibt, sicher.
Klaus wird älter und will in einem offenen Wagen über endlose Pisten preschen. Zigarette im Haar, Wind im Mundwinkel und die Sonne zwinkert auf dem Tachometer. Laß dich durchheizen von deinem Körper, den du suchst: He, Klaus, das alles ist ein großer Schwindel, mein Kaffee ist alle und die Kellnerin läßt mich sitzen mit verknoteten Blicken.
An der Küste fand er einen nackten Körper im Sand, sie waren ganz allein. Das schlafende und das lebendige Fleisch, vereint wie auf einem Bild. So hatte er sich das immer vorgestellt, und jetzt wo es Wirklichkeit war, verglasten seine Hände, eine heiße Kugel strahlte vom ausgepufften Himmel.
Was wurde nicht zu Glas in diesem Moment?
Klaus konnte für einen Moment noch hindurchsehen: da flitzte das Gefühl um die Ecke seiner Überlegung.
Tssst – und schon war es wieder weg. Fast hätte er es erwischt!
Der Fischer wickelte ihn in sein Brockatnetz und trug das kranke Kind nach Hause...
Dieser Nachmittag ist die Ewigkeit.
Die Straße nur eine Täuschung, ähnlich wie uns das Licht einer Supernova erreicht, so kommt das Bild, so kommt Klaus zum vierten Male, jetzt schon schwitzend und im Laufschritt. Es macht mich verrückt, ich will bezahlen, will jetzt etwas anderes machen, auf meinen Handflächen bilden sich Schweißperlen.
Wer rüttelt an der Tür, wer beobachtet mich? Ich habe mich heut Morgen nicht rasiert, andererseits ist dies kein Land, in dem ein Mensch auf offener Straße erschossen werden kann: die Kameras sind überall.
Hat Klaus einen Freund, der ihm irgendetwas Freundliches sagt, wenn er wieder einen Tag erfolgloser Suche hinter sich gebracht hat? Hat Klaus tatsächlich eine kleine süße Freundin, die an ihn denkt? Haben Freund und Freundin ihrerseits Freunde und Freundinnen? Und was verbergen sie in ihren Schubladen? Rostige Nägel unter wichtigen Dokumenten? Türbeschläge verhakt in Schmetterlinge aus Draht.
Ich kann gut verstehen, was Klaus treibt: Das Gefühl, das er fangen will. Nun kommt Klaus zum fünften Male und keiner fragt, was er da treibt. Ich warte auf die Rechnung. Für einen Kaffee, nicht für Klaus und meine verhedderten Gedanken.
Dieser Nachmittag ist schlimmer als die Ewigkeit – er ist ein vergilbtes Bild im Schaukasten der Volkspolizei.
Komm bloß nicht wieder!
Ich bin ein Gefühl von Klaus.
Influenz/Labyrinth Figur 1
Der Kampffisch ist ein Labyrinthfisch. Die Fraktur der Basis meines Schädels ist eine Schrift der Bilder. Ich tauche, weil ich Wasser war. Fische kennenzulernen ist eine akzeptable Lebensaufgabe. Bis jetzt kenne ich aber nur den Kampffisch, er hält mich auf der Fährte. Die Fährte ist die Mutation.
Unendliche Lebensformen zerfallen in Legenden, sie haucht in dein Ohr, du küßt ihren Nacken, sie atmet deinen Atem. Als ein Wir denke ich Uns, im Ich löst sich die Summe auf. Die Waggons der Gedanken können an jedem beliebigen Punkt gekoppelt werden, die Fracht bestimmt das Ziel, die Gleise verschieben sich automatisch mit der Richtung des Transportes. Wie viele Köpfe Finger Arme Beine hat das Gefühl, die große und edle Kupplerin, schon beim Rangieren verloren! Klaus ahnt es nicht.
Mit geschlossenen Augen betrachte ich Wasser, in dieser Tiefe sind keine Augen mehr nötig: wir sehen mit der Haut, die Haut empfängt jeden Reiz und sendet jeden Reiz, die Schuppen glänzen in der Vorstellung der Fischer: Hier unten kämpfen die Fische um die Basis des Bildes vom Labyrinth.
Geschichte/Talumar:
"Am Abend stand ein Mann vor dem Haus. Die Tür war verschlossen, sein Gesicht war verschlossen.
Das Gesicht des Mannes hatte zwei Schlüssellöcher.
Er trank Tee aus einem Weinballon und übte sich in der Vernunft, indem er Kniebeuge vollführte.
Als das Taxi vor ihm hielt, zählte er seine Knöpfe und öffnete den Hosenlatz. Der Kopf hinter dem Lenkrad im Taxi war ein bemalter Luftballon, das Taxi selbst eher einer Konserve ähnlich, kein Auto im eigentlichen Sinne.
Niemand hörte irgendeine Uhr ticken. Wir waren allein, auch die, die nicht dabei waren. Der Mann sagte: „Nehmen Sie mich mit, wie ich bin“.
Das Rauschen einer Zeder stieg in das Taxi zu dem Mann, sie fuhren davon.
Die Frau des Elektrikers aus dem dritten Stock klopfte ihren Rock aus, eine graue Locke fiel über ihre Stirn, verdeckte eine Narbe. Sah sie häufig am Bahnhof, zuletzt vorige Woche. Der Mann, der sie gelehrt hatte, das Knie zu beugen, ist nie wieder bei ihr aufgekreuzt.
Es war erhebend, den Sonnenuntergang anzubeten, seine Lippen wurden feucht vor Scham dabei, trotzdem.
Das Haus ging weiter.
Zögernd schloß sich der Abend an."
Monolog/Reflexion
Die Transzendenz ist ein samtblaues Kissen.
Wenn ich mit meinem Kopf auf dem Kissen liege, muß ich an die Sterblichkeit denken.
Unabhängig davon, ob meine Augen offen oder geschlossen sind und ob das Ticken einer Uhr zu hören ist oder gar nichts.
Ein Kissen zum Träumen, ein Kissen zum ersticken ...
... ‑ Alles sehr feierlich und Musik spielte + Wind gnädig + Atmosphäre sauber + Zeremonie pünktlich begonnen + Namen über Mikrofon verlesen + Genannten traten vor + Einheitliche Reaktion bei Verleihung der Orden + Schöner Anblick + großartige Ästhetik + blitzenden Metall auf samtblauen Kissen + Bleibendes Erlebnis + Kinder Tipptopp + Beteiligung zufriedenstellend + Hauptgewinne für alle Punkt +
DIE LICHTMOTTEN FRESSEN DAS TRANSZENDENZKISSEN
Das samtblaue bleibt, eine Abendhimmelahnung, ein Gefühl von Abschied.
Wir sind der Liebe in uns näher, wenn wir ein Abschiedsgefühl sind.
Der Abschied ist ein junger Mann an einem verregneten Vormittag in einer kleinen stillen Ortschaft.
Er steht – Abschied - auf dem Gehstein und schaut zur Rathausuhr. Sein Pferd wurde gestohlen und er versucht sich zu besinnen, wohin er reiten wollten. Er kann sich nicht erinnern, geht zum Telefon, wählt irgendeine Nummer, merkt sie sich, beschließt diese später im Lotto zu setzen, korrigiert die Antenne, hustend fährt die gelbe Straßenbahn an ihm vorbei.
Aus einer Nebenstraße ist der monotone Singsang der Bauern zu hören, die ihre Pflichtzeit beim Pyramidenbau abarbeiten. Der Friseur ist der Erste, der heut auf der Straße geht. Nervös und gebeugt eilt er am Abschied vorbei, der auf seine Schuhe starrt. Über ihnen klappt eine Fensterlade, in den Gullys gluckert Wasser, Vögel jubeln: Selbstvergessenheit im Tropfenkäfig.
Wo wir auch hingehen, der Abschied geht mit.
Wir werden ihn immer wieder treffen, auch wenn er uns nicht betrifft.
Wer ist die Transzendenz.
Geschichte / Talumar
"Sie hieß Flucht, erwähnte ich das bereits? Ja, also. Sie stieg aus dem Auto, als habe sie unendlich viel Zeit. Sie versteht zu täuschen. Niemand erkannte sie, nur der einmalig blaue Himmel zuckte unmerklich zusammen. Hinter einer Gardine erschien eine Hand, eine Armbanduhr blitzte auf, das Deckglas blendete für eine Sekunde meine Augen.
Einen Moment: Die Hand klaubt etwas vom Fensterbrett, Schmutz oder Samenkapseln. Die Flucht geht langsam zum Briefkasten und wirft ihre Sandalen hinein. Flache Sandalen. Vermutlich war da etwas unter der Sohle versteckt, eine Botschaft vielleicht. An wen? Und wie frankiert man Sandalen?
Übrigens sieht sie irgendwie deiner Schwester ähnlich, Klaus. Obwohl ich deine Schwester noch nie gesehen habe, kenne sie nur vom Hörensagen. Demzufolge muß sie auch irgendwie Dir ähnlich sehen. Was hältst Du davon, Klaus. Was sagt dein Gefühl?“
„Sie kennt dich, sie wartet auf dich ‑ohne Erwartungen.“
Das Tote oder das Ungeborene. Das Gefangene, das nicht fliehen kann, in ihr, dem Haufen blinkender Scherben: Flucht. Deine warmen Schenkel unter meinen schweißnassen Haaren. Suchen und Warten sind geheime Zwillingen, erkennen sich in unserem Friede.
Wo ist der Fluchtpunkt meiner aufgebrochenen Kreise, ich kann ihn nicht erkennen.
WO ICH BIN IST DAS HIER ....
Trinke das Glas aus, schraube die Sicherungen raus, springe während der Fahrt vom Rad, sitze mir stumm gegenüber in kahlen Büroräumen, steuere mit vorzeitlichen Formeln den Ausverkauf der Wertsachen, bescheuert und ausgetrickst. Ringsum proben Zombies die Selbstbefreiung.
Wußte es längst - Hände hoch! Ich hab das alles nur geträumt - tanze mit mir, jetzt, haucht sie, und friert vor Wonne. Gleich wird sie an mir hochspringen.
Sie verkaufen uns keinen Wein mehr.
Dann entdeckte ich den Schimmel auf meinen Lippen, es war furchtbar, aber ich ging einfach die Straße weiter, und niemand beachtete mich.
Ich hab mit anderen Menschen gespielt, sie haben mit mir gespielt, es hat keinen Einsatz gegeben.
Wir hatten uns eingebildet, wir seien der Weg, der Strand, Strömung und Meer, Aussichtsturm und Strudel, alles so was, du weißt schon - damals hatte jeder noch ein bißchen Geld, und einer von uns, irgendeiner muß den Bau gesehen haben, aber er hat uns davon nichts erzählt, und so weiß Niemand, wozu er eigentlich dient, jeder stellt sich was andres vor.
Spiel ohne Grenzen: Das erste Pferd war weiß, das zweite rot. Das eine führte die Herde, das andere kam aus dem Norden.
Wer will die Bedeutungen trennen, wer den Wert bestimmen.
Wir haben geatmet, wir atmen jetzt, keiner weiß, was das ist, wenn wir auch wissen, daß wir mit unseren Lungen und unserer Haut atmen, dem ganzen Körper also, was die Augen und die Zunge einschließt, auch die abgeschnittenen Nägel.
Die Amsel baut sich ihr Nest aus Mikadostäben. Ich frage dich nicht wie du das gemacht hast. Du lebst. Ich bin das flüchtende Hierich. Nimm an, unsere Sprache ist die Spiegelschrift. Die Geschichte, die ich zu erzählen habe, ist nicht erzählbar, du wartest umsonst auf eine Pointe. Schau in den Spiegel, schreib dein Bild: wenn wir die Spiegel aufeinanderlegen, Gesicht an Gesicht, werden wir uns sehen ‑ vorausgesetzt, alles ist geschrieben. Das Gelebte ist im Fleisch.
All die Beschwörer des Vergangenen im Traum vom Morgen sind Scharlatane mit weißen Plastikhemden auf blutigen Oberkörpern. Laß dir sagen, daß wir höchstwahrscheinlich doch nicht tot sind. Und deshalb leg dieses Papier zu den anderen Papieren, die du besitzt.
Knisternde Zeugen deiner sich wandelnden Oberfläche. Geh auf die Straße, versuche mich zu treffen, zu berühren, zu einem Glas Senf einzuladen.
Renne mit mir, wenn du mir begegnest. Dir entgegen. Ich versuche nur, meine Geschichte zu umgehen, indem ich sie dir erzähle. Ich bin ein Betrüger ‑ laß dir das nicht bieten, entlarve mich.
Reflexion/Monolog
Hin und Her in Sachsen, laß es bluten auf Feten und Sitzungen, Speichelspuren auf dem Jackett, ungültige Fahrscheine als Lesezeichen. Ich bin eine namenlose Stadt auf zwei Beinen, lüpfe meine Dunstglocke beim Anblick der Dorftrottel, höre die Maultrommelsinfonie von der Loge der Peinigung aus an, verfasse mich im Schattenreich und stell die Schatten an die Wand, suche Jobs und Pilze ‑‑‑ Tanze mit Schranzen unter industriellen Minaretten.
Kadmiumglöckchen fliehender Wolkenschafen bimmeln, Charles Ives sitzt im Imbiß und trinkt Bier mit Novalis, kleine Genies stehen Schlange vor dem Glashaus mit den weißen Tanzmäusen, eine Steinkultur wird in die Welt getragen von Halaliaposteln und Juppheidijüngern.
Meine kleine Welt bläst sich auf und fliegt davon, hoch und höher, schön und schöner, intensiv und intensiver, besser als das Beste: Die Deutschen machen das immer so, herzensgute Spinner, hin und her, von Schallmauer zu Schallmauer, perfekt eben.
Da steh ich mit meinem speckigen Notizbuch, Samstagabend in Döbeln, kein Anschluß nach Leipzig, die Sonne sinkt wie bei Wagner, in der Kneipe fettige Tischtücher, besoffene Fernfahrer und ein ungastlicher Wirt mit barockem Bauch. Literaturpreis erster Klasse für die Verfasser von Fahrplänen, Speisekarten. Informanten aller Art, Pauschaldokumente plus Goldene Eier bitte sehr, hier gackern die Hühner noch in der Pfanne.
Während Inseln mit Telefonzellen vorbeitreiben,vermeere ich Zeiten und Länder zu einem Lichtbildvortrag im Tunnel zwischen Bahnsteig A und D, Engel in Plastesäcken befreien sich mit rostigen Federn und klettern durch das Streckennetz ---.
Reise I
Regenschleier senken sich über das Nappalederjackenvolk, in kleineren Städten schlurfen alte Frauen mit schief sitzenden Kopftüchern zum Konsum, Pissgeruch in einer belebten Straße, Kinder in Reihundglied, ausgewaschene Jeans flattern um magere Hinterbacken; der Transportpolizist kommt langsam auf mich zu, ich gehe langsam davon.
Die Züge werden bestiegen von faustgroßen Träumen. Es könnte dieses Mädchen in den karrierten Hosen sein, was mich so erregt: ihr schmaler Rücken, oder auch durch die dünne Bluse schimmernden Brüste, deren Nippel die Abendkühle hart gemacht hat. Oder diese im Seidenhaar funkelnde Spange. Oder auch die Illusion von einem plötzlich aufbrechenden Himmel, nichts besonderes eigentlich - das sinnlose Geschrei eines Dreijährigen im Tunnel unter den Bahnsteigen von Karl‑Marx‑Stadt, von der Decke tropft Schleim, die Kanalisation rauscht und raunt, ein Infektionsträger pervertierter Genüsse, brodelndes Abfallgift, spärliche Beleuchtung über verbleichenden Reklamen, gekalkte Wand mit verschlossenen Eisentüren, warmer Luftsog in der Nähe des Ausgangs.
"Ich bin durch Elderlein gefahn mit so’ner Kawasaki": Keckes Lachen, denke an Schabefleisch ... plappern dummes Zeug, machen das Beste draus; ein Mann neben mir öffnet die Bierflasche, bemerkt aber nicht das traktorraddicke Monster von 30 Meter Länge, wie es durch den Gang von Abteil zu Abteil glibbert, auf dem Rücken Obstkisten und Korken.
Das Brot ist künstlich, wir fahren.
Die Weichen bewegen sich geräuschlos. Auf Starkstromleitungen balanciert Lilli und singt: „Was für ein Land ist/dieses Laha-hand.
Ein Kreuzrittertroß schleppt die verwundeten Pagen ins nächste Dorf, wir haben den Erlaß vernommen.
Die Jahre, in denen Kirschbäume zweimal blühen, sind selten, aber der Lauf der Flüsse hat sich seit Damals kaum verändert, ein böses Jahr, ein gutes Jahr, die Wächter lösen sich ab, aber Karten spielen sie alle.
Der König geht mit der Mode und das Volk folgt blind sämtlichen sozialen, ethnischen, politischen, kulturellen, pflanzlichen, kosmischen, evolutionären und weiteren bislang noch nicht entdeckten Gesetzen ... Ich versuche umsonst, Postkarten zu kaufen, um Freunden zu schreiben. Die Ränder der Aussicht sind ölig, schwarzes Gras, im Birkenwald Heizungsrohre, dazwischen kniet der Abt in der Kapelle ohne Dach, in meinem Kleinhirn schlürft Talumar glücklich Kaffee - er sollte schlafen, denn jeder Tag ist ein fremder Tag und auch das Buch der Erkenntnis unterliegt dem Fallgesetz, Lilli.
Heute wird Niemand kontrolliert. Wir wissen was wir voneiander halten -
halten müssen: wir wissen den ganzen alten Scheiß - der Matrose ist grad achtzehn Jahr, als er Abschied von seinem Mädchen undsoweiter. Am Quai strafft sich seine Bauchdecke noch einmal, er wird ins Wasser spucken und den Dienst verfluchen; die Kräne stehen still, mein Gott arbeitest du an diesem Montag ?
Sah eine Bekannte, die dich grüßen läßt, auf ein unausgemachtes Zeichen hin setzten wir uns in verschiedene Abteile.
Wir sind froh wenn wir mit Niemanden reden müssen, die Zeiger rücken uns auseinander. Zerfallen in einzelne Zellen sammeln wir haltbare Zukunftspläne im Fotoalbum, der grenzüberschreitende Verkehr ist das kleinere Übel...
Wieder ein Bahnhof, wieder keine Kontrolle, erleichtert lehnt sich die blinde Blumenverkäuferin zurück,
das Monster ringelt sich zusammen auf der Toilette und schließt befriedigt die Augen, zehn an der Zahl.
In einer Erdkuhle leere Weinflaschen, die Etikette längst verfault und zerfressen. Hier rasteten sie zuletzt, als die Schlacht ihren Höhepunkt erreicht hatte, neutralisierte sich das Gift, die Kirschbäume blühten zum zweiten Mal, was konnte es bedeuten: Der Hochstapler schlich davon in seiner Reformationstracht, es war ein kalter Wintermorgen, sie teilten wieder einmal Länder auf und warfen Unschuldslämmer ins Niemandsland, wer kann das verstehen ohne verrückt zu werden, die gesamtgesellschaftlichen Bezüge totaler Systeme humpeln in sadistischen Abendkleidern zur Konferenz, Förderbänder in Dreierreihen exakt aufgestellt, Achtundzwanzig ist der Taxt, der Rhythmus ändert sich nicht, zudem alle sechzig Sekunden ein pfeifender Hieb ins Nichts. Wie viel Quadratmeter Wohnraum benötigen Sie für die Einsamkeit im Alter? Gut, die Lokalpresse informiert Sie über die nötigen Daten, von tiefem Bedauern verfüllt schweigen die Detektive des kollektiven Unterbewußtseins, die Räder rollen.
Worte und Bilder, peinlicher Betrug, maßstabsgerechte Topographieansichten:
DER MENSCH IST EINE SCHEIBE.
BEWEG DICH DOCH.
Das Monster gähnt.
Räder.
Rollen.
Samt.
Scheibe.
Projektion über ein Werk der Uhr
Die alte Frau lehnt am Fenster den ganzen Tag, sie wird so sterben, sie wird im Fenster lehnen und tot sein, sie hat sich so eine Stellung angewöhnt, in der ihr Niemand mehr ansehen kann, ob sie tot oder lebendig ist, im Parterre der junge Mann mit dem Rucksack, der unter ihr vorbeigeht, bemerkt sie nicht, was sollte er auch mit der gestoppten Filmszene zu tun haben.
Talumar schaltet den Projektor nicht ab, er schließt seine Augen nicht, aber das Bild bleibt dasselbe, dieser Lebensfilm besteht aus einem einzigen Bild.
Wie viel Bilder pro Sekunde kann Talumar vergessen?
Wenn auch im Baum hängend, gefesselt in Grün, den außergewöhnlichen Fiepton im Ohr, der im Schädel Druck erzeugt - vielleicht die Signale eines fernen Planeten, bevölkert von einer Spezies, die von früh bis spät nichts anderes tut, als die Erdlinge zu warnen. Er kennt das schon, seine Erschöpfung hat ihn in ein Stadium scheinbarer Gelassenheit geführt, er wirkt reif, spürt die Sättigung, süßer Saft quillt aus der aufplatzenden Schale, seine Hand greift nach der Frucht, Sonne wärmt die Haut...
Er beginnt die Dinge und Vorgänge zu bewerten, auf der Bahre wird der Geist aus dem Haus getragen, geübt verfrachtet im weißen Kutschenfond, die Frau mit dem schwarzen Schleier ist ein blauer Schatten und tritt plötzlich hervor aus dem Mauerputz, jetzt kann er durch ein Loch im Bild hinter das Bild sehen, der Lautsprecher ist kaputt, wir hören nichts mehr, die Straße völlig tonlos.
Ein Jongleur ‑wo mag er herkommen - schiebt sich vor das Loch, spielt mit Fragezeichen und Ausrufezeichen.
Worte sind Doppelpunkte.
Reflexion/Monolog
Was erlebe ich?
Bin ich das Erleben?
Die Zeit ist ein Vampir, saugt mir das Blut aus.
Welcher sture Hund in mir behauptet, daß ich an die Sage glauben muß, derzufolge jeder vom Vampir gebissene selbst zum Vampir werden muß.
Wie kann man erkennen, ob das Blut, das im Gegenüber fließt, eigenes oder fremdes ist?
Ich bin ein Erlebnis der Zeit‑.
Geschichte/Talumar
"Der blaue Schatten fuhr mit mir in einem Auto auf dem dunklen Band der Fernstraße, nicht schnell, jedenfalls langsam genug, um die tagverlorenen Visionen auf einem Gipfel hoch über der Stadt sehen zu können, wo Schnee liegt, und etwas tiefer der See mit dem deutlichen Grund ohne Fische.
Wir streuten die Perlen, wischten die Spuren unserer Worte, Rankenfinger kletterten an den alten Fassaden des Landschlosses, beinahe ein paar Rehe zu viel am Waldrand, ein Bulldozer stand in Montagserwartung hinter einem Drahtzaun. Weder Radfahrer noch Spaziergänger, niemand unterwegs an diesem windigen Nachmittag.
Ich wünschte lange so zu fahren das Blut in den Adern ... lieber nicht.
In den Augen das Land. Gewürznelken auf einem silbernen Tablett, Krebse in wollenen Wipfeln, ein Lachen hinter geschlossenen Fenstern, die Frühlingserwartung eines sterbenden alten Mannes; verlor ich das Gedächtnis? Der blaue Schatten führte mich durch das Spalier stumm glotzender Richter, die Korridore waren eisig, es kam zu keinem Urteil, wir hatten die Schwere fest verschnürt in Stricken, die Situationen reihen sich aneinander und sterben nicht, und wenn der Abend kommt, würde alles noch stiller sein, die einzige Gewißheit: abendgestilltes Auge.
Das Auto bog ab, die Straße schob sich unter die Horizontdecke und schlief ein, irgendein Dorf prustete mit rotwangigen Häuschen, kicherte mit Vorgärten ... wurde eng, wurde Sackgasse, saugender Inzest zwischen Ackersöhnen und Schollentöchtern, das Auto umkreiste den Schoß zweimal, dann stoppten wir vor einer Hecke, einer zerfallenen Mauer, einem verrosteten Eisenzaun, vor einer Kirche ohne Dach, die Türen verschlossen und verwittert, die Fenster ohne Glas, die Wölbung einer Decke deutete sich an, goldene Sterne verblassen auf verblassendem Grund. Ich hielt mich fest an dem Schatten."
Monolog/Vermutung
Die Glocken - immer wenn etwas beginnt, wenn eine Tür plötzlich zuschlägt und eine andere sich geräuschlos öffnet, vielleicht fällt Licht ein.
Lichtwölfe reißen den grasenden Schlaf der Herde von Erinnerungen. Scharen des Gesterns, wärmende Wolle, das Fell und das Dröhnen schwillt, Blutstau im Phallus... Der Teppich, auf dem sie lagen und mich riefen aus den Tiefen, Schoß in Schoß wortlos nach einem Namen suchend, daß ich käme, wie lang ist das her.
Was ersetzen uns die Glocken ? Es muß einst einen Klang gegeben haben, der mit der Schöpfung eng verbunden war, an den sich jede Zelle des Körpers erinnern kann, der nicht mehr hörbar ist und den die Glocken nachahmen.
Jetzt beginnen die Glocken zu läuten, mit jedem Schlag fällt eine Zeit scheintot zu Boden, die großen Blätter der Kastanie singen die Liturgie, die Lichtwölfe hüten die Schattenschafe.
Geschichte/Talumar
"Der blaue Schatten zerfloß unter meinen Schutz suchenden Berührungen zu einer Substanz, die ich einatmen konnte, eine elektrische Geige klang aus dem Brutkasten, die Filtration gelang, die Urenergie des Lebens konnte für einen Bruchteil einer Sekunde isoliert werden.
Ich sah mich hilflos treiben in einem Meer der Möglichkeiten, das Holz für ein Boot war noch nicht gewachsen....
Drang durch die Hecke, überkletterte den Zaun und ging auf die Kirche zu ‑ wie eine pulsierende Statue stand sie mit erhobenem Kopf, die Hände am Mauerwerk, in einer Nische. Wasser tropfte vor ihrem Gesicht. Ich sah diese Frau, der Grund aufgewühlt. Greise klammerten sich an rostige Geländern, die Taucherkapsel schoß plötzlich wieder nach Oben,
durchbrach die Oberfläche, stieg mit einer glitzernden Fontäne höher... Wir standen uns reglos gegenüber auf dem Seil.
Die Zuschauer hielten die Gesichter in den Händen verborgen, jeden Augenblick mußte das Feuer ausbrechen, das Gewitter oder das Erdbeben beginnen, die Türme des Anfangs und des Endes schwankten im Rhythmus unseres Atems.
Die Zeit ist ein weißer Panther, bricht aus dem Käfig, reißt die Uhrmacher in Stücke, verschlingt die Namen des Kalenderjahres, gierig und unersättlich ‑ als hätte sie den blauen Schatten gerochen.
Ich befürchte einen Absturz, das Seil vibriert; auch in den Augen der Frau sehe ich Furcht. Wir fielen mit zwanzig verschlungenen Finger ...
Reflexion/Monolog
Verwandlung im Gleichschritt - wie unpassend, es scheint nicht hierher zu gehören, aber wie oft weiche ich ab, um nicht aufgeweicht zu werden von den täglichen Sintfluten, die uns der Teufel schickt; verzweifelte Rettungsaktionen: geh aufrecht deinen Weg, er ist einzig wie du und es gehört verdammt nochmal hierher, der Gleichschritt und der Tod, die Spannung zwischen den Polen kann tödlich sein und die spärlichen Brücken zwischen den Menschen bersten unter dem gleichen Schrittmaß zehntausender Füße...
Ich beiße auf Gummi, es ist zu spät, ich habe keine Zeit für Geschichten, verschont mich! Ist es noch nicht genug? Der Schamane deutet in Trance in irgendeine Richtung, und schon rennt die ganze Horde los und schlachtete einen andren Stamm, die Rache für den letzten Hagel oder weiß der Himmel was.
Ich sehe Talumar über dem Schlachtfeld schweben, ein schwarzer Schatten, die Frau dreht die Leichen um und schaut in die verwesenden Gesichter, sie finden sich nicht einmal im Tod wieder.
Die Dämonie hat Lächeln gelernt, verfügt über einen humanen Wortschatz, zeigt Verständnis auf Pressekonferenzen, setzt sich ein für die Probleme des Einzelnen,
das einzelne Problem wird eingetaktet,
das einzelne Problem marschiert,
Erfolgsrezept für die Vermassung, was Klaus, du und ich: Schulterklopfen,
vertraulich tiefer Blick WIR SIND DIE WANDLUNG
Da hast du’s, Junge, diesmal hat es Niemand mehr nötig, Glocken einzuschmelzen,
sie sparen das Kupfer für die Denkmale.
Olle Kamelle, näh dir diesen Knopf an, sonst wirst du noch krank.
Geschichte/Talumar
"Im Fallen erkannten sich unsere Körper, streiften die sieben Häute von den Seelen: sie verglühten in der Biosphäre, erleuchtete den Fleischkanal dauernden Geborenwerdens‑‑ wie Katzen rollten wir vor dem Portal auseinander. Umliefen die Kirche, suchten ein Schlupfloch, den Eingang, schauten durch die Fenster, sahen die hohen Birken im Innern, Schuttberge von Gras bewachsen, von Gras gesprengt die Stufen; Wasser lief die Innenwände hinab, Wasser fraß an den putzentblößten Ziegelsteinen der Außenmauer, Wasser strömte durch das offene Auge des zerstörten Daches; die Pflanzen tranken müde aus Steinporen, unmerklich wächst der Altar Erde, Jahr um Jahr, aber kein Tür offen, wir konnten die Kirche nicht betreten. Wir umrundeten sie ein zweites Mal, erwachten aus der Benommenheit des Rausches, der Kiesweg knirschte, ein alter Mann ging kopfschüttelnd vorbei, blieb stehen, sah über die gepflegten Gräber, schwarzer Marmor glänzte, Reisig verdeckte frische Erdschwellungen, hier hatte sie ihren Schoß aufgetan, ich nickte; plötzlich schlug die Glocke ‑ es konnte nur in unseren Köpfen sein, nicht in der zerstörten Kirche: Aber wir sahen auf, mit offenen Mündern nach Zigaretten tastend in klammen Taschen, der abgebrochene Turm war abgedeckt mit Holz, die Uhr zeigte die laufende Zeit, die Glocke dröhnte unsichtbar hinter dem Blatt mit den römischen Ziffern...
Das war unsere Messe, die Verwandlung eines blauen Schattens in eine Frau vor den nackten Augen eines Mannes. Wir öffneten das Friedhofstor von innen, hatten es vorher nicht bemerkt, als wir über den rostigen Zaun gestiegen waren, hell klickend fiel das Tor hinter uns ins Schloß. Mit einem langen Kuß hatten wir uns unsere Namen bekannt, ein Kind sah ein Paar in einiger Höhe über einer Wiese im Licht, das kein Taglicht war, verschwinden, unsere Wohnungen wurden leer vorgefunden.
Einer verließ sein Grab im Anderen, die Zeit wendete sich und schloß das Fenster.
Radio I
„Hast du das Neuste gehört ‑ ich bin vielleicht auch einer von diesen Krebskranken ... Lauf mit mir durch den Sommergarten, dort wachsen die Blumen, die das Fleisch betören, vergiften, töten, fressen.
Das ist das Neuste ! ‑ich bin ein Traktat aus der Tiefkühltruhe, glaubst du mir nicht? Ich gehöre einem Zirkel an, ich bin mit dem Vorsitzenden bekannt! Im Café der Stammplatz. Lies die Zeitung, das ist wirklich das Neuste, vierzehn in der Luft zerfetzte Affen, sie wollten den Baum sprengen, weil das Dynamit im Wald ersetzt ein halbes Schwefelwerk hahahaha—
Die Bettler sind bestochene Künstler: etwas muß uns doch in Bewegung halten, Kollege, wenn die Luft knapp wird, schließ die Augen und denk an Mami, atme flach, vielleicht schaffst du’s bis zur Rente, ich mach mir nichts draus, ich bin das Neuste, ich komme auf dich zu mit Leimhänden, alles bleibt kleben, der Plüsch brennt.
Die tollen Sprünge der Kängurus über dieser Stadt setzen alle in Erstaunen ‑ schau auf, Kopf hoch ! da ist noch Etwas über uns, mein Gott: DAS NEUSTE ‑ hast du gehört: Ich komme mit
dreitausend Informationseinheiten pro Sekunde auf dich zu, Augen eines Bioroboters und ‚Siehe Seine Füße Waren Wie Die Eines Bären’...
Stellt euch neben den Weg, das Spalier entzückt mich, die Ämter touren auf, Schlipse flitzen von Computer zu Computer. 0 salbe mich mit dem Formularextrakt, meine Stimme muß sanft klingen und doch bestimmt. Niemand darf mich wiedererkennen, wenn sie mich aus dem Lautsprecher hören soll ihnen das Denken vergehen.
Weiß der Kuckuck wie viel Sprachen es gibt, es sind alles nur Worte, sag mir du liebst mich, brauchst du eine Peitsche oder eine Krone? Sie haben alles am Lager.
Ich bin ein Abgesandter, eine Mutation aus Verdrehungen, Sud aus edlen Ansichten und geschliffenen Beteuerungen, biete den ganzen alten Rotz als Serum gegen Schlangenbisse an ‑ alles hilft, du mußt nur glauben, Tausende sind beschäftigt mit der Bewältigung der Vergangenheit, der Rest bereitet gegenwärtig die Zukunft vor, niederträchtig höchstwahrscheinlich, wenn nicht alles schief geht, wird DIE dann Niemand mehr bewältigen müssen. Perfekte Lösung, was willst du da noch ernst nehmen, wie viel Kanäle hast du, welche Programmauswahl in deinem Gehirn - pole dich schnell um von Südfrucht auf ein skandinavisches Ritual, in Ungarn steigen die Preise, in Indochina die Flüss.
Wir sind ein Gleichnis, aber du hast das Neuste nicht gehört, Freundchen, mir scheint wahrhaftig, du trinkst viel lieber Bier, welche Marke aha ja ‑ wenn es nächste Woche eine Fortsetzung gibt – na, klar gibt’s die - wirst du die auch anschauen wollen, aber bestell jetzt erst einmal das schwarze Taxi mit den weißen Gardinen, du kennst doch die ganze Litanei, also mach jetzt deinen farbenfrohen Nylonbeutel fertig für den nächsten Tag, Klaus ‑ich sag dir, sie warten auf dich...“
Reflexion/Influenz
Klaus ist ein positiver Held: mit allen Soßen gewaschen, unter dem hellsten Stern geboren, Clevernis mit Löffeln gefressen, freundlich, aber unnachgiebig, von angenehmen Wesen und erlesenem Gestus. Er macht nichts falsch, er ist direkt an die Leitzentrale angeschlossen, und das macht ihn nicht schlechter als Andere. Seine Geschichte kann im Lexikon nachgeschlagen werden, er ist eine literarische Fallgrube voller Gold und Alternativprogrammen. Er fickt wie im Roman und tut Wunder wie im Roman und hat das Zeug zu einem Weltmann. In Turnschuhen wirkt er ebenso smart und gewinnend wie im Abendanzug von gedämpfter Farbe und elegantem Schnitt. Klaus ist ein stilvoller Mensch seiner Zeit, er kann uns beweisen, daß es immer nur auf den Blickwinkel ankommt. Und er beweist es, indem er im Kreis blickt, oder besser ‑ aus dem Kreis heraus. Da Klaus ein positiver Held ist, muß ihn zwangsläufig Jedermann aus einer positiven Perspektive sehen, womit eigentlich schon alles gesagt wäre, doch die Sache hat natürlich einen Haken, denn: Klaus selbst ist die PERSPEKTIVE. Hier, spätestens an dieser prickelnden Stelle, avanciert der Romanstoff zum Treibstoff für Höhenflüge... ‑
.... - Ein Haus ohne Türen + die Augen entzünden sich im Regen + Jemand ruft einen Name + Tote antworten mit den knarrenden Stimmen der Balken + Keine Straße führt dorthin + Kein Telefonanschluß im Haus + Keine Hausglocke + Das Fenster wird geöffnet nur zur Nacht + hält die Zeit auf + ein Dompteur animalischer Gesetze + Schatten gehen ein und aus durch Spiegel + Die Fassade löst sich auf sobald ein Mensch einen Schlüssel findet –
Reise II
Laszive Neurosen:
Die automatische Akupunktur der Seele beim Anblick des Streckennetzes, der Fahrzeiten, der Zeitschriften am Kiosk ... Lemuren auf dem Marsch, polierte Lederszene in frisch gespülten Gehirnen. Wer hat euch die Vorfahrt genommen, ist euch unter die Haut gefahren, mein Gott: wie ihr JETZT ausseht.
Unter dem Schaum träger Gärung entzündet sich der Fötus des Glaubens, Rauschmittel ohne nachweisbare Herkunft, der Chef der Weinberge empfängt die Weisungen in einem Zustand der Lähmung...
Alles halb so wild, Polizisten stehen in Gruppen und schweigen; was bedeutet dieses Plakat? Böse alte Männer grinsen, herrenlose Synapsen ziehen gräßliche Schatten hinter sich her, mit ängstlichen Augen sucht der Dolmetscher nach dem Autoschlüssel in seinen Taschen...
Langsam fährt der Elektrokarren voller Pakete vorbei, eine Einsamkeit mit graumelierten Schläfen öffnet eine Plastedose und kostet vorsichtig von dem Schokoladeneis -
ein Hirsch mit unglaublich großem Geweih ackert ein Feld weggeworfener Kaffeefiltertüten um: die Welt in Scheiben ‑ Toastbrot mit Marmelade.
DAS IST EIN TRAUM ! Gib es zu Talumar, du bist eine Vision des Ramses als Mumie‑.
Die Verklärung schminkt sich zum Bocksbergfest und gibt der Gewalt das verabredete Zeichen: das Land läßt Kopf und Därme hängen, die Hämorrhoiden vom Sitzen auf den kalten Sockeln der Geschichte schwellen blutig, so eng wie dieser Anus ist die Gedankenwelt von Klaus: siebzigtausend Mark für so eine neuartige Pyramide.
Studentinnen mit breiten Hüften schleppen rote Kunststofftaschen...
Das Raucherabteil überfüllt von Kippen... Die morschen Gesichter alter Alkoholiker ... feuchte Lippen eines Frühreifen, von rauher Tierzunge geleckt ...
In gläsernen Türmen über den Gleisen stellen die Hyptnotiseure die Weichen...
Hegel wird von Wachsoldaten erkannt und verwandelt sich in einen schönen Prinzen, den aufgeputschte Fußballfans mit heißen Flaschenöffnern attackieren...
Bartstoppeln, hellgelbe Stürme der Apathie
.... der Teufel auf der Flucht vor den Bastarden der heiligen Familien... Schmieröl auf Brautkleidern ... Mädchen mit den Händen in den Hosentaschen tänzeln über getötete Füchse... die Retorte vibriert, Bioströme werden von schalldichten Zeitungen abgeleitet in neutrale Zonen, im Nachbarabteil wird mein Name genannt, schlaf weiter ... spüre mit den Fingerspitzen der Wachstumsspirale in der Gesellschaftsmuschel nach, das Rauschen kommt aus dem Radio und ist echt...
Geschichte/Film
Kleine Stadt am Gebirgsrand, regnerischer Montag im Mai ‑ ein Freiluftmuseum der Gegenwart: alte Frauen besorgen die Haushalte, kaufen ein und lesen die Lokalseite; abgewetzte Beutel, eingedrückte Frisuren, Kernseifengeruch, argwöhnisches Lächeln aus dem Augennest; Schulmädchen eilen mit gesenkten Köpfen die Straße hinab, Männer in Schlosseranzügen rauchen stumm Zigaretten in der hohlen Hand, am Blumenladen stoppt ein Auto und bringt Kränze. Talumar und der Regisseur gehen durch die Stadt, wollen das Leben von Innen filmen, aber keiner von Beiden holt die Kamera unter dem Mantel hervor und drückt auf den Auslöser ...
Die Spiegel sind blind geworden und kein Bild bleibt DAS Bild. ‑Zwischen ihnen geht die namenlose Trauer, die früher Furcht hieß: der hellblaue Anorak ist ihr ein wenig zu groß und die Kapuze schützt sie nicht vor dem Regen.
Unter den Kleidern rinnt das Wasser den Körper hinab. Außerhalb der Stadt auf dem Feld links der Straße sitzt im weißen Kitte der Notarzt und sucht den Bazillus in einer Träne untem Mikroskop, mit wehendem Schwesterngewand steht die Assistenz daneben und notiert Werte.
Über dem Birkenwald treiben Nebelfetzen durch das Tropfennetz des Regens, fingerkuppengroße Delphine schießen aus dem Dunst und tauchen; in Sprechblasen schweben leblose Karikaturen über das Land, die Sonne ist so gut wie vergessen.
Der Regisseur wartet auf die Verwandlung, schlägt mit nervösen Fingern unrhythmisch in seine Handfläche, keiner wird diesen Film sehen wollen, ich inszeniere das Leben jetzt, wenn es uns nicht einläßt und Talumar und die Namenlose Trauer bleiben einige Schritte zurück...
Verliebte Frühlingspärchen küssen sich zwischen Mülldeponie und Umspannwerk - hier ist der Ort der Ruhe, nur der Zeitschmuggler kommt gegen Abend auf seinem klapprigen Rad vorbei und weicht den tot herabfallenden Lerchen aus; Bächleins Rauschen tönt so bang. Das Bächlein stupst rostende Konserven. Der verrückte Albin springt von der Brücke in eine Strohmiete und schreit: MACH EINEN PLAN WÄHL MEINE NUMMER JEDER IST DIE ZEITANSAGE ! –
Der Regisseur beruhigt sich, wartet auf die Nachzügler.
Er und Talumar unterhalten sich:
Regisseur‑ Die Bilder rinnen wie Sand durch die Finger
Talumar‑ Und unsere Hände rinnen wie Sand durch die Bilder
Regisseur‑ Es bleibt der Eindruck, etwas war schön
Talumar‑ Den Augenblick. da ES geschieht, kann kein Objektiv sehen
Regisseur‑ Wir filmen nichts, weder von Außen noch von Innen
Der Regen beschädigt die Kamera
Talumar‑ Tränkt die Pflanzen
Regisseur ‑ Ich bin der Vorgang, das Spiel, das Drama, das Happy End,
die Lange Weile zwischen zwei Filmrissen,
der Farbeffekt, die Stimmung
Talumar ‑ Scherenschnitte in Ramschkästchen
Dann gehen sie weiter, schweigen wieder. Gehen über Felder durch den Regen,die Glut der Zigaretten schützend mit den Händen. Die Namenlose Trauer geht in ihrer Mitte, und hat sich wie eine alte Vertraute bei ihnen untergehakt.
Unter ihren Füßen schwimmt das Land, die Ortsschilder wechseln alle zwei bis drei Stunden.
Fahrzeuge weichen ihnen in großzügigen Bögen aus, vielleicht sehen sie ihr Heim wieder noch bevor sie wissen, was das ist ...
Sie haben verzichtet. Auf Schauspieler, Technik, Protektion.
Die versteinerten Werke sind erlöst und ziehen mit.
Influenz / Labyrinth, Figur 2
Blutung unter der Haut.
Warum schreibst du keinen Gegenwartsroman, du kannst viel Geld verdienen, kannst berühmt werden, bestimmen ...
„ .... laßt ihn nicht raus! laßt ihn nicht raus!“ keifen die Parzen und verlieren jede Würde.
Was geschieht, geschieht jetzt. Auf der Straße.
Was hat es zu sagen, daß du nichts zu sagen hast ?
Deodorants und Surrogate‑‑‑ .
Telepathisch ferngesteuerte Genies nesteln an den Brillen und verkünden ihre ureigensten Erkenntnisse: "Mach’s doch auch so, warum machst du’s nicht auch so, sei kein Fisch, als Symbiot hast du alle Chancen“.
Lege das Alptraumraster über Comics. Faust als Punk, das Problem ist gelöst, dialektisch sauber: Mephisto, ein sabbernder Zombie.
Gottes Sperma unterm Elektronenmikroskop.
Seht !
Er blutet unter der Haut ... läuft blau an, schwillt wie ein Luftballon ... Er wird noch PLATZEN !
Die Spaltungen im Menschen werden nicht mehr auf die Umwelt projiziert, sondern verinnerlichen zu neuen Gefühlsdimensionen.
Der Narbenhändler verkauft die Zeitungen bündelweise.
Klaus ist die Öffentlichkeit und verblutet unter der Haut.
Leipzig, 3.6.1984
BERLIN BEI NACHT
Libretto für eine Punk-Operette
Der Sklavenmarkt der Gefühle
wird überflügelt
von meiner Meise im Mai
I
Rauhes Bier + Scharfe Bremsen + Ein Hang im Sommer die Nächte
zu durchleben + Pan mit Trakl auf Bahnsteig B + Lese eine Zeitung
im Klo + Höre Stimmen im Untergrund: „Mach dich hier irgendwo nützlich!"
Mitternacht der welken Maschinen + Heavy Metal + Lohngruppe 7
Die schlaffen Säcke kleben am Prenzlauer Berg + Prometheus
war ein Alki & machte Feuer unterm Arsch + Zebrochener Lippenstift
am Grund einer Reisetasche + Roter Lotos im Speichelindus
Treibe
Treibe
Küsse das Küssen
In der süßen Mainacht erlag ich meiner Unverwundbarkeit
beim Zahlboxroulette
Schwingenbreite Mitternacht + Gerammel im Bauch der Zeit
Sie gebiert den Tänzer auf den Kreuzen + Kirschblüten regnen
in den Totenmund + Verschrottete Abhörgeräte im Luftschacht
Ich fand mich wieder im Papierkorb + Löste die Fahrkarte
Bekannte mein Ziel + Die Peitschenlampe schlug Schatten
zurück in die Körper + Einsame Zeitnacht + Schwingengemurmel
Mein Kopf rollt über deinen Kopf
II
Wer kennt schon das Leben der Nacht in den Schwänzen
der Knaben + Leuchtendes Menstrualblut an tastenden Fingerspitzen
Reiß die Kleiderhaut vom Seelchen + Lieb dich tief drin + "He, komm
raus" + Weiße Segel brennen schneller im Fahrtwind + Sitze popelnd
in der Küche + Trink den kalten Kaffee allein + Im Regal eine Löschblatt-
sammlung + in Leder gebunden + Zarte Streifen von Schweiß bleiben
Leserstrahlen + Autorengekicher +++ Suchte in der fremden Wohnung
nach Schnaps, fand einen Spiegel mit dem Bild zur Wand + Die Frau
zieht sich und meine Vorhaut zurück + Sternspritzer erleuchten
schlaflose Bäuche
Im Traum erleichterte ich mich vor dem Bett
um zehn Liter Blut
III
Heute Morgen keine frischen Semmeln + Runter vom Hohen Roß
mit weißen Hosen & einem gültigen Ausweiß + Ausgetrocknete
Tintenfäßchen zwischen Gewürzen + Gurus spucken Plomben und
suchen Schutz + Die Wolken des Karma ziehen sich zusammen
Das Gewitter brach los
wir tanzten + Um sechs Uhr begann der Schmied zu hämmern
Wir sahen das Feuer hinter den Fenstern & die Bäume im
Sonnensee + Lippen gerissen wie Papier + Fühlst du dich
zu Haus in der Konserve + Das eine Roß löst sich in Rauch auf
Der andere Rauch steigt nicht + Würgt die Kehle + Beißt die Augen
Kain und Abel haun uns in die Pfanne +Friß die Blaue Blume
Leck dich ab vom Tisch + Spiele mit Schlüpfern + Fang den Köder
"Nimm mich, wie ich komme" + Im Osternest tickt die Eieruhr + Romantisches
Heil unter alten Illustrierten + Die Toten des Zweitenweltkrieges kotzen
in die Träume & scheißen Denkmale ++++
Wieder hat die Deutsche Schecke das Rennen gemacht + Urkunden
für die besten Rassezüchter + Mein Fell ist zum Teufel + Vielleicht
machen wirs noch eine Weile + Es ist ein langer Weg bis zum Bocksberg
Aus den Mundwinkeln wachsen endlose Lineale + O NOVALIS wir nehmen
uns Maß im Filter mit kippenden Achten
IV
Wickele am Mittwoch die Freundin aus dem Lohnstreifen + Sieh dir das
genau an: Rauschprodukt Blut +++ Espen wispern Wunder + Katzen auf
dem Stacheldraht + Tätowierte Männer mit Rosen in Vorgärten
Die Seismographen des Irrsinns schlagen jede halbe Stunde
Leichtes Leben schlängelt sich zwischen Schwermetall + Punkte im Mitgliedsbuch
der Kegler +++ Laotse und Jim Morrisson werden exhumiert + Auferstehung als
Salami hinter Plexiglas + Wir halten uns länger gekühlt +++ Fröhliche Völker
verteidigen sich voreinander
Die Scharlatane wechseln heimlich den Zirkus + Der Baumbestand neigt sich
beständig + Pfeile aus unbekannten Blasrohren fliegen + Spionage wie jeden
Mittwoch um eins denke ich an dich
V
Schau in die Röhre + Apokalypsen mit Schlips und schwarzem Aktenkoffer
schlafen bei Brot und Salz + Schatten in der Tür + Kann nicht mehr ruhig sitzen
Klopfgeister diktieren neue Botschaften + Überkochendes Teewasser brüht Staub
Nachtschlange züngelt Kunstlicht + Feuersymbole brennen aus + Zwölf Speichen
auf geschmolzenem Glas + Fünf Millarden Schnecken auf der Flucht + Ein Troß
aus Kalk und Fleisch zwischen Urzelle und Ewigkeit nervt meinen Hohlmuskel
VI
Hör sie schreien + Wer sind sie? + Lutschen sich gegenseitig Plasma
von den Lippen + faustkeilscharfe Daten im Speicher + Affenwahn
Der Film wird schon zum vierten Mal gezeigt + Ein Junge aus der neunten
Klasse legt Hand an sich +++ Sodom unter Glas + Gomorrha in Spiritus +++
Projektanten schlafen in Schlingen + Zwischen den Zähnen faulen Fleischreste
Mikroskopische Würmer unter den Telefonen + Jeder kennt das + Die Bachkantate
wackelt mit den Ohren & reckelt sich im Sessel
Leere Wodkaflaschen rollen durch das Kino
Mach es schneller + Sauge hier an der Wurzel + Schmutzige Füße auf weißer Dielung
Jetzt spielen sie den Punkwalzer nochmal + Die Gasuhr klickt im Haus der Treppen
Mädchen mit magischem Ohrschmuck + Jungs mit Zuckerwürfel in den Taschen
An der Bushaltestelle Puppen aus Pappe
Gitarrenriffe schillern unter wogenden Massen + Lachkrämpfe mit unheilbaren Folgen
Spring von der rasenden Bahn + Hechte auf den Angler am Gesprächsfluß + Tödliches
Wort STOPP + Rußnest im Europaherzen + Phönix brütet ungelegte Eier aus + Dem Mutterwitz
entschlüpft ein gepanzertes Tier
0 Null du blitzende Unzahl + Verklingende Volkslieder suchender Versucher
Nervenautomat mit Weckeinrichtung + Aaiiah meine heiße Schnalle im schoßkurzem
Rotkleid ‑ Dein Stier ist angepflockt am Schornstein +++ Sie sitzen und raufen die Haare
der Feinde am Gürtel
Manchmal erwachen wir im Beischlaf
VII
Versteckt mit Erika im Stellwerk + Tippe auf Name und Zahl + Kontrolliere die Züge
Wer steigt ein + Wer steigt aus + Woher & Wohin + All diese Nummern außerhalb
der Wertung +++ Auf meiner Nase tanzt die erste Mücke dieses Jahres + Es könnte
nochmal Sommer werden +++ In meinem Rücken krachen Puffer + Sonne bricht durch
Faschistoide Begriffe fläzen über'm Bollwerk Thresen + kippen Korn & heben Bier
Ströme von Büroleim wälzen sich über die Dächer + Schleichende Formularinfektion
Die Stempelpest ist ausgebrochen + Verendete Antragsfüchse in den Straßen
Für ausländische Militärmissionen gesperrt + Tollwut der Kontrolleure + Spritzen
dünnen Speichel in das Trinkwassersystem + Reißen Frauen + Beißen Kinder
Astrid will keine Hausaufgaben machen & dreht am Knopf + Wieder explodiert
eine Keimzelle & verrät das Nest der Ultras +++ Rettungslose Anker im Boden
der Realität +++ Weißt du
was das bedeutet: Zwei Menschen lieben sich und versickern in den Fugen
der Mauern, die sie zum Schutz gebaut + " Ich will leben" brüllt Herodes
Die sieben Schleier brennen + Breitbeinig sitzt die Wahrheit auf dem Tisch
erigierte Verhandlungsteilnehmer umringen sie+ Gesetzen umflattert sie
Substrate dringen früh halb sechs aus der Haut + Alte Alkoholiker mit Ledermütze
Kleine Mädchen träumen auf Plastikbänken + Bergsteiger vereinsamen
beim Kampf um den Gipfel + Echo des eigener Atems unter der Maske
des Sauerstoffgerätes + Komische Märtyrer schleppen Betten durch den Hades
Mit einer aufblitzenden Unruhe am Ohr verschwindet der Zeitansager in der
Geisterbahn
Berlin, 1984
Der Text war Grundlage für eine Indi-Produktion auf MD mit dem unten zu sehenden Cover.
Frank Bretschneider, Jan und Ina Kummer sowie der später als Till Exit bekannt gewordene Künstler
bildeten wenig später die Combo AG GEIGE.