Multiple Positionen
Zum künstlerischen Werk von Edith Tar
Überschaut man das Werk Edith Tars, fällt vor allem auf, daß die einzelnen Projekte in sich abgeschlossen sind. Fotografie ist in diesen Projekten unterschiedlich dominant, die Künstlerin weist diesem Medium verschiedenste Funktion zu, immer in Abhängigkeit von der Kernidee, die mit einem Projekt vermittelt werden soll. Gleichwohl sind die unterschiedlichen Projekte durch einen fraktalen Charakter verbunden, der ihnen jeweils eigen ist.
Dazu einige Beispiele. Beginnen wir mit WURZELN EUROPAS / DER GRAL.
Das Projekt entstand in den 1990er Jahren auf zahlreichen Studienreisen durch Europa und brachte neben einem facettenreichen fotografischen Konvolut auch eine Veränderung sowohl im Umgang mit künstlerischen Instrumentarien als auch mit der ästhetischen Dimension ikonographischer Bezüge. Allmählich bauten sich Reibungsflächen auf, die den Leerraum zwischen Bildidee und Bildverwirklichung thematisierten, in erster Linie wohl auch eine Folge der Erfahrungen, die in der Widersprüchlichkeit zwischen zwei fotografischen Verfahrenswegen liegt, die hier als Bildinszenierung einerseits und fotografische Option (vulgär: Schnappschuss) andererseits eingegrenzt werden sollen. In den Jahren 1990 bis etwa 95 konzentrierte sich Edith Tar auf die Umsetzung von Bildideen, Inszenierungen wurden sorgfältig geplant, Orte wurden in einer bestimmten Absicht gewählt, die Arbeit mit Modellen folgte einem vorgefassten Arrangement oder einer planvollen Choreographie. Ein Beispiel hierfür ist die Skulptur DER MUSCHELALTAR, worauf noch eingegangen wird.
Während der Reisen durch Europa mischten sich Zufälle in die Absichten, lösten Substanzen aus Erfahrungen, wurden zu Bildern, die ganz ohne Absicht entstanden, und all das überlagerte sich mit dem Motiv des Aufbruchs, deutet diesen um, führte zu neuen Fragen. Kurzum entstand genau das, was Wolfram von Eschenbach in seinem 800 Jahre alten Werk über die Suche nach dem Gral in grandiose Metaphern beschreibt: ein aus Absichten, Hoffnungen und Irrtümern hingegossenes Abenteuer.
In den fotografischen Reiseaufzeichnungen, die in den 70er und 80er Jahren entstanden, als Tar in den Ländern Osteuropas unterwegs gewesen ist, dominiert noch Reportagetechnik die Bildauffassung. Aber schon bei den ersten großen Ausstellung nach 1990 („Psalm für Zeitreisende“ Leipzig, Werk II, / „Kriegsspiel oder die Weiße Fahne“ Aspekte Galerie im Gasteig, München) wird deutlich, wie konsequent die Künstlerin ihre Position formuliert: aus der Beobachterin, die ihre Mitwelt als Fotografin sensibel begleitet, wird eine Spielleiterin, die ihr bildnerisches Vokabular ständig erweitert und in immer neuen Erzählräumen inszeniert.
Dabei benutzt die Künstlerin den seit der Renaissance entstandenen Kanon einer europäischen Bildsprache absichtsvoll, aber nicht vordergründig. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist wohl der ebenfalls im Werk II ausgestellte MUSCHELALTAR.
Dieses Werk steht noch in unmittelbaren Zusammenhang mit der Friedlichen Revolution und ihren Folgen. Zum Zeitpunkt der Entstehung des MUSCHELALTARs hatte sich aber DER REVOLUTIONSTISCH in seiner Schlüsselfunktion bereits als SOZIALE PLASTIK etabliert. Beide Werke stehen durch ihre Plastizität, den skulpturalen Gestus und den beiden Werken jeweils eignenden historischen Einbindungen in Wechselwirkung.
Der Muschelaltar:
Ein Altartriptychon, bei dem die sonst üblichen Säulen von zwei Kanonenrohren gebildet werden, die gleich-zeitig als Arretierung der Installation dienen, so daß diese frei im Raum schweben kann.
Die Kanonenrohe stammen vom Panzer des sowjetischen Typs T 55, die sich Edith Tar aus einer Kaserne bei Bautzen „besorgt“ hatte, wo Waffen entsprechend den Wiener Abrüstungsverträgen zerlegt und verschrottet wurden. In dieser fulminanten Bildinstallation wird besonders anschaulich, wie sich die Suche nach zeitgemäßen Kommunikationsformen im Werk der Künstlerin als Spur abbildet.
in den Stahl geschriebener Text:
wir schliefen
unter einem Rettungsboot
am Strand schliefen wir den Rausch
unserer Eltern aus
die Wege lagen hinter uns
vor uns ankerte die verlassene Galeere
die Schiefen kamen ins Lot
mit dem Morgen
war das Meer unser blaues Blut
wir standen auf
unter dem gespannten Bogen
Pfeile jeder Richtung
schwirrten durcheinander
unser Commander ist ein unbekannter
Königssohn und regiert unsere Träume
wie Ströme im Ozean
jeder von uns ein verworfener
Eckstein im Sternentempel
Leipzig, Werk II, 1992
Detail MUSCHELALTAR
Auf ganz andere Art formuliert sie 1997 den vorläufigen Abschluss des Projektes WURZELN EUROPAS / DER GRAL mit der Installation DER GRAL - EIN MENTALER TRAFO, die sich als ein mit Kommunikationstechnik gefüllter Gralskessel betrachten läßt, wobei der hermetische Aufbau und die dazugehörige Klangeinrichtung von Radjo Monk für eine sinnfällige Verschränkung von Prä- und Postmoderne sorgen.
Diesem Schlußpunkt war u.a. die Ausstellungen
EX VOTO in der Guinness Hop Store Gallery
in Dublin 1994 und LICHT:BILDER
im Wissenschaftszentrum Bonn 1997 vorausgegangen.
Referenzausstellungen zum Thema gab es 1998
mit TERRA SANCTA im Sächsischen Landtag,
mit EXISTENZSCHMUGGLER im gleichen Jahr in der Galerie Fotoforum West in Innsbruck und 1999 mit ROOTS OF EUROPE im National Museum of Fine Arts
in Maltas Hauptstadt Valletta.
Ungefähr ab dem Jahr 2001 entwickelt Edith Tar künstlerische Projekte in kompakten Serien,
die jeweils um ein Thema kreisen.
Dabei ist es manchmal nur ein Wort, das den
Zündfunken für eine ganze Serie liefern kann, wie beispielsweise bei der Serie INOCENTE,
die 2011 in Spanien entstanden ist,
ausgelöst durch ein spielendes Mädchen.
Der Gral - ein mentaler Trafo: Klosterkirche Grimma 2003
In der Serie „SEINE RETTUNG GESCHAH ABER FOLGENDERMASSEN ...“ wird die identitätsstiftende Funktion von Bildern als Trug vorgeführt, gleichzeitig steht die Frage nach verbindlichen Kommunikations-formen im Raum.
Wemding, Kunstmuseum Donau-Ries, 2010
2003 war diese Serie in der Studiogalerie der Denkmalschmiede Höfgen und in der Klosterkirche Grimma zu sehen, 2010-11 im Kunstmuseum Donau-Ries in Wemding - siehe Abbildung oben.
Der Zyklus NELLY IN WEIMAR wurde 2004 im Saarländischen Künstlerhaus Saarbrücken präsentiert, wie frühere Arbeiten auch flankiert von einem Videofilm, die in Zusammenarbeit mit Radjo Monk entstanden.
Hier lichtete Edith Tar Symbole deutscher Geschichte auf eine Weise ab, die jede Form von Deutungshoheit konterkarieren. Geschichtliche Zeugnisse können den Zeitstrom nicht stauen, sie sind Teil dieses Stromes.
Ein souveräner Zugriff auf kollektive Identitätsstiftungen, der nicht zuletzt durch die stoische Platzierung eines weiblichen Accessoires gelingt – die rosa Handtasche wird in späteren Projekten wieder auftauchen und für zeitliche Brechungen sorgen.
Gegenläufig zu diesen beiden Serien, aber frei von diskursiver Ambitionen, läßt sich die Serie MARE NOSTRUM als meditative Liebeserklärung an den europäischen Kulturraum lesen, zumindest für jene, die einmal mit dem mittelmeerischen Ursprung Europas in Berührung gekommen sind.
Mare Nostrum (Spanien 2000)
Eine Liebeserklärung, wie sie wohl nur jemand formulieren kann, dessen Wurzeln väterlicherseits in Okzitanien liegen. In dieser Serie verliert sich zum ersten Mal und vollständig der Laubgeruch mitteleuropäischer Melancholie. Man merkt plötzlich, daß der Abschied von der Bildästhetik des Prager Fotoklassiker Josef Sudek (1896-1976), der für Edith Tar noch in den 80er Jahren Vorbild war, lange zurück liegen muß.
Andere Projekte und weitere fotografische Serien schichten sich ringsum.
Zu erwähnen ist das als Raumskulptur konzipierte Projekt
AUSFLUG DER LAIENSPIELGRUPPE
IN DIE PELZTIERFARM VON PAU,
in welchem Edith Tar Environment und Fotografie, Inszenierung
und Klangraum, Videoprojektion und literarische Fragmente mischt.
Gleichfalls erwähnenswert ist das Projekt DIE HEILIGEN BERGE, das sich in verschiedenen Modulen seit 2004 entfaltet und formale Korrespondenzen zu Strategien der Bildinszenierung aufweist, wie man sie schon aus NELLY IN WEIMAR kennt. Im Modul nelly@obersalzberg.de geht es einmal mehr um deutsche Geschichte, nur steht diesmal die Frage nach der Umcodierung geschichtsträchtiger Orte im Mittelpunkt.
Berchtesgaden, Obersalzberg 2011
KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar 2002
Waren es in NELLY IN WEIMAR noch immer Erzählstrukturen, die sich der Rezipient aus den Bildmotiven ziehen und in seine eigene Geschichtslesung einbauen konnte, sind es nun Orte, die, ganz im Gegensatz zu denen in Weimar, gelöscht sind. Gesprengte, aus Landkarten ausradierte Orte, die aber noch immer begehbar sind. Mit einem Tabu belegte Orte, die gleichwohl mediale Aufmerksamkeit generieren, vor allem im TV: kaum ein Tag ohne irgendeine Dokumentationen über das Dritte Reich, über Hitler, über die Verbrechen des National-sozialismus.
Diese und weitere Projekte haben über Jahrzehnte eine künstlerische Topographie entstehen lassen, die in all ihren Ausprägungen den Nenner riskanter und unbedingter Selbst-Erforschung als eine Art Wasserzeichen trägt.
Diese Währung wird - um im Bild zu bleiben - erst erkennbar, wenn klar gesehen wird, daß Fotografie ein die Dingwelt nachhaltig konstituierendes Medium ist. Die Künstlerin nutzt dieses Medium als Zündung ihrer Artikulation, immer eingedenk des Umstandes, daß subjektive Wahrnehmung stets von einem Restrisiko umgeben ist, aus der Objektivität in die Wahrscheinlichkeit zu sinken.
Dieses Risiko täglich neu einzugehen ist die eigentliche Botschaft des fotografischen Werkes Edith Tars. Die Botschaft hat eine horizontale Überreichweite, denn sie stammt aus einem Radar, den die Künstlerin auf Kommunikation ausgerichtet hat: dieser Radar folgt genau den Impulsen, die er einfängt.
Das gesamte Gewebe wird von der Geschichte mitbestimmt, wobei eine signifikante Bezugsgröße die Französische Revolution von 1789 ist. 200 Jahren später, im Herbst 1989, war Edith Tar als Leipzigerin völlig klar, daß dieser entscheidende Moment europäischer Geschichte eine tragende Rolle spielt. Wie hätten z.B. die Leipziger jeden Montag für Demokratie und Menschenrechte demonstrieren können, wären diese nicht 200 Jahre vorher konstituiert worden?
Dieses historische Geflecht, das gleichwohl auch ethische und philosophische Aspekte hat, nimmt zwar im Werk Edith Tars keinen vordergründig breiten Raum ein, aber es sind Erfahrungen, die die Künstlerin zwischen den Systemen gemacht hat, die ausstrahlen auf die Timeline sowohl der Vergangenheit als auch der Zukunft. In dieser steten und nicht vordergründigen Ausstrahlung entsteht ein pathosfreier Raum historischer Antizipation, der ohne die freudige Annahme des menschlichen Gegenübers unmöglich von jener Ursprünglichkeit geprägt sein könnte, die in fast allen Portraits, die Edith Tar gemacht hat, zu entdecken ist –eine Annahme des Gegenübers, die manchmal blitzschnell und manchmal in langen Schritten erfolgt, aber stets ohne Kalkül.
So ist es nicht überraschend, wenn nun unter dem Titel ... DER TAG VOR DEM MAUERFALL ein Projekt in Vorbereitung ist, das zurückblendet auf den 8.November 1989, als Edith Tar an der Grenze zwischen CSSR
und BRD den nicht enden wollenden Strom von DDR-Bürgern, die ihr Land verließen, dokumentierte.
Ein Vierteljahrhundert später noch einmal in die Gesichter der Menschen zu schauen, die nicht ahnen konnten, daß am nächsten Tag all ihre Hoffnungen und Pläne, ihre Ängste und ihre Verzweiflung vom Wind der Geschichte zerstreut werden würden, erzeugt eine eigentümliche Resonanz zu gegenwärtigen Erwartungen, Befürchtungen und Hoffnungen.
© Radjo Monk, September 2013
Emphatie und Resonanz
1. Zum Begriff der SOZIALEN PLASTIK im Werk von Edith Tar
Im Werk der Fotografin Edith Tar spielt der Umgang mit vermeintlichen Privatfotos eine besondere Rolle und könnte unter kuratorischen Gesichtspunkten als Modul Privatgesellschaft ihrem Langzeitprojekt DER REVOLUTIONSTISCH - EINE SOZIALE PLASTIK zugeordnet werden, das 1989 begonnen wurde und als open source funktioniert.
Während die Installation DER REVOLUTIONSTISCH auf einer konkreten räumlichen, gesellschaftlichen und sozialen Situation basiert, die im persönlichen Lebensumfeld der Künstlerin wurzelt, verschaltet sich die Intention, die hier verfolgt wird, durch den Begriff SOZIALE PLASTIK mit dem Kunstbegriff von Joseph Beuys. Im Vortrag AKTIVE NEUTRALITÄT beispielsweise bezieht sich Beuys auf Systemtheoretiker Niklas Luhmann, der in den Begriffen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit Substanzformen sieht und konstatiert, es sind „Lebewesen, sind Wirklichkeiten, weil sie Ideen sind“. In seinem Vortrag unterstreicht Beuys ausdrücklich, mit seinem erweiterten Kunstbegriff provozieren zu wollen: „denn Provozieren heißt ja nach dem lateinischen Wort ‚hervorrufen’. Man ruft etwas hervor, mit dem Ergebnis, daß etwas sehr einfaches geschieht: man kommt in ein Gespräch.
Der Revolutionstisch. Frühjahr 1990 im Leipziger Atelier der Künstlerin
Eine Provokation in diesem Sinne ist die Installation DER REVOLUTIONSTISCH, dessen Stummheit nach Sprechakten verlangt. Eine Widersprüchlichkeit, die bereit im Titel liegt, denn Revolution meint Bewegung und Dynamik, während der Tisch ein Objekt ist, das zum Innehalten auffordert, zur Besinnung, zum Dialog. Es geht also in dieser Installation um Bewegung und Maß, um eine Balance zwischen Entwicklung und Konstitution.
Dies illustriert auch die Apostrophierung der Installation als Denkmal, wie sie von den beiden Filmemachern Rolf Schlenker und Jürgen Becker in einem Beitrag für die ARD-Serie über die Neuen Bundesländer im August 1990 getroffen wurde: “kein großes Denkmal, aber das erste. Das Erste für die erste Revolution, die die Deutschen auch wirklich zu Ende gebracht haben“.
Nein, kein Denkmal, denn es fehlt dieser Installation die abschließende Geste, das ideologische Fazit, das aus einem in sich abgeschlossenen historischen Prozess gezogen werden könnte. Seine Objekthaftigkeit, der so gar nichts von einem Denkmal eigen zu sein scheint, erklärt sich letztlich aus dem Fehlen der Personen, die an diesen Tischen einmal gesessen haben. Aus diesem Fehlen ist eine Latenz zu folgern, eine vom Objektbetrachter nicht näher zu bestimmende, aber in seine eigene Gegenwart zielende Substanz, die - ganz im Sinne Luhmanns - Idee ist und bleibt.
Beuys spricht in seinem Vortrag vom Anfang der Fähigkeit, etwas zu gestalten und erkennt im „Experiment des Gesprächs“ den Menschen als Bildhauer seines Denkens. In diesem Sinne sind die Gespräche, die im Herbst 1989 real an diesem Tisch geführt wurden, sowie alle weiteren, die um den Stoff, um das Objekt geführten Dialoge, aber auch die durch sein Oszillieren am Scheitelpunkt sowohl seines musealen als auch performativen Aspektes ausgelösten Resonanzen die Substanz der SOZIALEN PLASTIK. Diese Plastik unterliegt einer nicht zu beendenden Ausformung, in ihrem Kern verweist sie auf eine bestimmte, von historischen Prozessen unabhängige Idee, nämlich die der Fähigkeit, etwas zu gestalten, also auf den Denkprozess als Akt der Souveränität.
Vor diesem Hintergrund lassen sich verschiedene Themen im Schaffen Edith Tars um den historischen Drehpunkt der „Friedlichen Revolution“ von 1989 gruppieren. Edith Tar ist als Demonstrantin und Fotografin in Leipzig in diesen gesellschaftlichen Umbruch involviert gewesen.
Der Revolutionstisch in HALLE 14, Spinnereigelände Leipzig, Juni 2009
2. Zum dialogischen Prinzip als Arbeitsmethode
Blättert man heute im Archiv der Fotografin, könnte man meinen, es sei zur Hälfte privat. Schaut man genauer hin, stellt man überrascht fest, soeben Einblick in eine Gesellschaft genommen zu haben, die nicht mehr existiert.
Unter diesem Aspekt ist das fotografisches Werk insofern ein Sonderfall, als die Künstlerin ab den 70er Jahren in wachsendem Maß ikonographisches Material aus der Bildenden Kunst auf ihre Fotografie angewendet hat, und zwar bezogen auf Bildaufbau und gestisches Vokabular in allen Genres.
Dies erschließt sich vor dem biographischen Hintergrund: Edith Tar hat an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig 1970-76 studiert. Ihr Diplom erhielt sie im Fach Fotografik für eine programmatisch mit VERGEHEN UND WERDEN betitelte Arbeit über die Kohleförderung in einem der Tagebaue, welche es damals rings um Leipzig gab und deren Präsenz im Dreischichtsystem Kindheit und Jugend der Fotografin durchdrungen hatte.
Betrachtet man das Material heute, wird schnell klar, daß hier bereits alle Bausteine der späteren künstler-ischen Begrifflichkeiten, in denen sich das Oeuvre entfalten sollte, aufscheinen: Portrait, Landschaft, sozialer Bezug, Bildraum und gesellschaftlicher Kontext. Philosophische Bindungen werden in Kompositionen verpackt und ergeben oft existentielle Fragestellungen, die zuweilen atmosphärisch schweben.
In den 1970er Jahren wird das alles noch geklammert von Methoden der Reportage - zu einem Zeitpunkt also, an dem kunsthistorisch gesehen die Fotografie in der DDR noch nicht in der Bildenden Kunst angekommen war und in erster Linie für ein Medium des Dokumentarismus gehalten wurde, das sich - im Selbstverständnis der herrschenden politischen Kaste - sehr gut für propagandistische Zwecke verwenden ließ.
Gleichwohl wurde Kunstvermittlung und Ästhetik an dieser Hochschule, die 1764 gegründet wurde und damit zu den ältesten Kunstakademien Deutschlands zählt, hoch gehalten und von Professoren wie dem Fotografen Heinz Föppel (1915-1983) mit höchsten Ansprüchen an künstlerischem Vermögen vermittelt. Professor Föppel war Mentor der Studentin Edith Tar.
Interessant ist an dieser Stelle die Erwähnung der Öko-Performance MEMENTO VIVERE, die Edith Tar am Südrand von Leipzig 1992 am Hang eines Tagesbaues realisierte, die von der viel befahrenen B 2 gut zu sehen war. Den Titel wählte sie in Abwandlung des von Friedhöfen bekannten Mahnspruches Memento Mori und wandelte ihn ab in bedenke, daß du leben wirst.
Auf einer Fläche von 4500 Quadratmetern brachte sie Ringel-blumen im Schriftzug des Projekttitels zur Aussaat, am Ende der Vegetationsperiode wurden die Blüten in einer abschließenden Performance geerntet und zu Heilsalbe verarbeitet.
Das Vertrautsein mit einer Landschaft, die ihren Todespunkt erreicht hat, wird hier zum Akt der
Wiedergeburt.
Edith Tar verstand ihre Performance als Erdheilung.
Obwohl die Fotografie bei diesem Projekt ganz in den Hintergrund tritt, spiegelt gerade dieses Projekt wie kaum ein anderes eben jenes emphatische Durchdrungensein vom lebendigen Gegenüber. Dieses Durchdrungensein prägt auch Edith Tars Auffassung vom Portrait.
3. Fotografische Visualisierung des Subjektes als Form der Privatisierung des Öffentlichen
Im Schaffen Edith Tars bilden die in der DDR innerhalb der Familie und im Freundeskreis entstandenen Fotografien einen Privatraum ab, der als Gegenwelt zur latenten Subjektkrümmung im durchideologisierten DDR-Alltag gelesen werden kann.
Das scheinbar banale Insistieren auf individuelle Bindungen und Bezüglichkeiten ist in Wirklichkeit ein Beharren auf das Gegenüber, das frei von Instrumentalisierungen im dialogischen Sinne Martin Bubers „empfangen“ bzw. fotografiert wird.
Augenfällig wird das im Bildband DIE SPUR DES ANDEREN, auf den später noch eingegangen wird.
Es gibt an dieser Stelle allerdings einen biographischen Link zu vermerken, der einen verstörenden Einfluss
auf das fotografische Selbstverständnis Edith Tars hatte, als sie 1981 im Leipziger Sportstadion ein Rockkonzert fotografierte, bei dem es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Fans und Polizei kam. Im Konflikt-verlauf wurde Edith Tar von Stasileuten verhaftet, man beschlagnahmte den Film in ihrer Kamera; die anderen konnte sie verstecken. Von da an wußte sie, wie sich die „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ anfühlt, die Milan Kundera in seinem Roman beschreibt.
Dem Beharren auf das Gegenüber konnte das allerdings nichts anhaben. Es war ein Beharren, das nur insofern verschleiert war, als es sich einerseits der augenfälligen Banalität bediente, um im Fall einer inquisitorischen Befragung durch Kulturfunktionäre unter eine soziale Normierung schlüpfen zu können; andererseits aber durch angewandte Meisterschaft ästhetischer Techniken die Bilderzählung - das Sujet,
das Portrait - aus eben dieser Banalität in den ikonographisch codierten Raum der Bildenden Kunst überführt.
Auf diese Weise entsteht ein doppeltes Spiel mit der im DDR-Alltag ideologisch öffentlich erlaubten Wirklichkeit und der individuell behaupteten, die sich vor allem in der privaten Interaktion artikulieren konnte.
Ein Beispiel aus den 70er/80er Jahren, das sich im 2008 entstandenen Videodemo ZEITKAPSEL wiederfindet: da sieht man drei Knaben mit einem Handwagen, auf dem Stapel verschnürter Zeitungen liegen. Der Hand-wagen wird quasi am Betrachter vorbei gezogen, wobei sich das Bild in eine Diagonale teilt, die von rechts unten nach links oben verläuft. Im Hintergrund ist ein Gartenzaun sichtbar, Bäume und Sträucher, ein Müll-container. Dem Betrachter mag auffallen, daß die Knaben aus ihren Schatten herauszulaufen scheinen. Ihr Blickfeld wäre dem des Betrachters völlig entzogen, würde nicht der dritte Knabe seinen Blick gerade auf die Zeitungsbündel auf dem Handwagen richten. Dieses fragmentierte Ansichtigwerden gibt dem Bildgeschehen eine eigene Psyche, die ins Spekulative führt und eine Erzählung jenseits der sichtbaren Handlung ermöglicht.
Das Sammeln von Altpapier war in der
ressourcenarmen DDR-Wirtschaft ein gern
gesehener Akt, der von Pioniergruppen
genauso praktiziert wurde wie von Einzelpersonen,
die ihrem Eigeninteresse folgten.
An dieser Stelle soll es nicht um Motivlagen und soziologische Hintergründe gehen, das führt
für unsere Zwecke zu weit; es soll nur die doppelte Lesbarkeit deutlich gemacht werden: der Akt
des Altpapiersammelns ist als Fotografie ideologisch durchaus willkommen, da er Material zum Ausbau
und Erhalt systemischer Konstrukte liefert.
Gleichzeitig entzieht sich diese Fotografie jedoch dem propagandistischen Kalkül und formuliert durch klar gesetzte Licht-Schatten-Linien einen poetischen Handlungsraum, in welchem die Knaben
in sich gekehrt ihrer Wege ziehen.
Die Stille, die hier hörbar wird,
kann als Nachhall des Lärms
von Aufmärschen empfunden werden.
Um die Bedeutung eines Privatraumes in der DDR zu ermessen, sollte man sich bewußt machen, daß in der DDR alles der herrschenden Ideologie unterstellt war und ihr zu dienen hatte. Und im Umkehrschluß eben alles, was ihr nicht dienen wollte, als Schatten verbannt, weggesperrt, ausgewiesen, kriminalisiert, in den Untergrund oder aber in den Privatraum abgetrieben wurde.
Edith Tar holte sich aus der Bildenden Kunst die Substanzen, die zur Imprägnierung gegen die Macht der Banalität und zur Freihaltung der eigenen Bildsprache vom Gestus der Diktatur nötig waren.
Nur vor diesem systembedingten Unterschied zwischen dem Alltag in der DDR und dem Alltag des Westens
nach 1945 kann verständlich werden, wie sich im Werk der Fotografin die Strategie der doppelten Sinnstiftung im Bild durch ikonographische Bezüge entwickelt hat.
Der historische Drehpunkt von 1989 ist in diesem Werk als Vexierspiel zwischen kollektiven und individuellen Bildern präsent. Der private Blick entblößt die Projektionsapparatur kollektiver Wahrnehmung nicht in jedem
Fall und sofort, es gibt Unschärfen und gleitende Situationen, in denen Camouflage zur Erkenntnis der Wirklichkeit mehr beitragen kann als das bloße Abbild des Sichtbaren. Tatsächlich setzt die Fotografin ihr Wahrnehmungswerkzeug Kamera nicht manipulativ ein, wozu einerseits die Technik und andererseits die in
der Natur des Auges angelegte biologische Täuschung verführen können.
Belege dafür sind die geduldig verfolgten Portraitfindungen der
1980er Jahre, die dann in einem Extrakt 1991 unter dem Titel
DIE SPUR DES ANDEREN
veröffentlich wurden; aber auch die streng konzipierten
Inszenierungen der 90er Jahre zeugen von einer
eigenwilligen Haltung, die von der Künstlerin
selbst als ethisch bezeichnet wird.
Nachvollziehbar machen das auch die vielen Bildzeugnisse,
die während der Friedlichen Revolution zwischen September 1989
und März 1990 entstanden, als die Fotografin oft in der ersten Reihe
der Demonstranten zu finden war. Im Videoclip WIR SIND DAS VOLK
ist ein fotografisches Konvolut zu einer atmosphärischen
Rekonstruktion eindrucksvoll verdichtet.
Es geht nicht um die Ablichtung ausgedachter, vorgefundener und in der Verschränkung aus beiden zu inszenierender Bildfindung, sondern um das eigene Auge. Es geht um die Gestaltung des Sichtbaren, das sich eben nicht einfach nur zeigt, sondern der Strategien der eigenen Wahrnehmung unterliegt. Fotografie, die sich selbst ernst nimmt, sollte sich im Klaren sein, daß alles, was abgelichtet werden kann, dem Licht gehört.
Was wir sehen ist Licht. Auch die Dunkelheit.
Auch in den nach 2000 realisierten Fotoprojekten, in denen die Künstlerin fiktive Figuren wie Nelly zum Magnet ihrer schwebenden Partikel gesellschaftlicher Fragestellungen macht, steht der dialogische Aspekt im Vordergrund.
Damit entfaltet sich die Frage der sozialen Plastik – ein von Joseph Beuys eingeführter Begriff - im Werk von Edith Tar als Bezugsmuster, das Werkgruppen, Projekte, Installationen, Gesprächsräume, Ausstellungen, spekulative Forschungen, holistische Strategien und analytische Raster verbindet. Im Rahmen eines konkreten Projektes sieht sich die Künstlerin natürlich immer wieder mit den Fährnissen konfrontiert, die jeden schöpferischen Prozeß siegeln. Dem Autor, der diese Prozesse überschauen darf, fällt es dagegen leicht, Parallelen zu ziehen, die kunsthistorisch, biographisch und systemisch weit auseinander zu liegen scheinen. Scheinen. Was für ein schönes Synonym für Objektivität: Bitte, scharf stellen.
© Radjo Monk, August 2014
KÜSSE IN ARENAL
Galerie Schurr, Stuttgart 2002
Migjorn im Frühling, Mallorca 1999
zur Ausstellungseröffnung
von Edith Tar
gelesen von Radjo Monk
am 14.9.2002
in der Galerie Schurr
Stuttgart
Mit dieser Ausstellung wird zum ersten Mal eine Auswahl aus dem Projekt „Mare Nostrum“ präsentiert, dessen Vorgeschichte tief in die Biographie der Fotografin zurück reicht. Die Entdeckung des Mittelmeeres als Schau-platz geistiger Herkunft begann im Herbst 1988. Edith Tar und ich hatten anlässlich einer gegen alle Erwartungen seitens der DDR-Behörden genehmigten Ausstellung in Köln der bis Wladiwostok reichenden Weite sozia-listischen Realismus entfliehen können.
Die Entdeckung des Mittelmeeres war gleichzeitig eine Entdeckung des Abendlandes als kulturelle Matrix, schloss damals aber noch das Niewieder ein und wurde bald darauf überlagert von den Turbulenzen des demokratischen Umbruchs in der DDR, den wir besonders in Leipzig als Sieg der Friedfertigkeit und des Mutes über Gewaltherrschaft und Duckmäuserei erlebten. Aber Erfahrungen, die unter dem Stern der Unwiederhol-barkeit gemacht werden, prägen sich tiefer ein und entwickeln eine Eigendynamik, die aus den Interferenzen zwischen einzelnen Prozessen letztlich werkimmanente Bezüge machen.
Sicher, Abstand vom Objekt der Betrachtung ist schon der halbe Sinn der Erkenntnis; aber die Fotografie war
in der DDR prinzipiell nichts anderes als für Josef Sudek nach dem Ersten Weltkrieg in Prag, oder für Cartier Bresson in Paris nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Fotograf besitzt ein Werkzeug, mit dem sich Wirklichkeit bearbeiten läßt. Wie mit diesem Werkzeug umgegangen wird, hängt vom Grad der Erfahrungen ab. Und von
der Intention, die Wirklichkeit vorwegnimmt, indem sie deren Bilder erfaßt und formt.
„Küsse in Arenal“ ist im Katalog „Last Minute“ auf Seite 96 zu sehen, nicht aber in dieser Ausstellung. Grund hierfür ist keine Nachlässigkeit, sondern folgt dem Mottos im Katalog: „... gestaltet sich doch alles aus dem Fehlenden“. Das Fehlen dieses Bildes ist symptomatisch für die Art, mit der Edith Tar ihre Wegbeschreibung verfolgt. Was für ihre Arbeit maßstäblich geworden ist, bleibt manchmal ausgeblendet, um den sich neu aufschichtenden Bildern Raum zum Wachsen zu lassen. Der Umgang mit dem eigenen Material ist ebenso wichtig wie die Suche nach neuen Ansätzen, einmal gewonnene Einsichten werden zur Ausrüstung auf der Suche nach neuen Erfahrungen. Dabei geht es nicht um Erfahrungen, die um ihrer selbst willen gemacht werden, sondern um die Auslösung von potentiellen Partnern aus der Sklaverei ihrer Funktionalität.
Mag dies als ein Ansatz gelten.
Hinter dem Titel der Ausstellung verbirgt sich ein anderes Projekt, das europäische Sichtweisen in einer Weise bündelt, wie sie wohl nur jemand entwickelt, der sich aus Bandagen lösen musste, die ihm als vom Busen der Freiheit wehende Bänder suggeriert wurden.
Der Vater Franzose, die Mutter 1945 von Böhmen nach Sachsen vertrieben. Es gibt keine konkreten Erinnerungen, aber dieser Zusammenhang bleibt biografische Grundierung.
Der historische Kanon war in der DDR ein Konstrukt, der bestimmte biografische Wirklichkeiten abdunkelte. Weltgeschichte, als deren Sieger sich die Offiziellen der DDR verstanden, war eine Frage der Auslegung von Fakten. Unter diesen Bedingungen nach Wurzeln zu forschen und Bezüge zu hinterfragen, war nicht ungefährlich. Dagegen wirkte menschliche Teilhabe, wie sie sich in vielen Portraitserien der 70iger–80iger zeigt, unverfänglich, obwohl das feinsinnige Erfassen des Gegenübers die verbotenen Fragen nur variierte.
Nach `89 konnten viele Fragen gestellt, manche auch erstmals formuliert werden. „Wurzeln Europas – Der Gral“ wurde für die nächsten Jahre das Signum fotografischer Projekte.
Einem Aufenthalt an der kroatischen Mittelmeerküste im jugoslawischen Bürgerkrieg 1992 folgte eine ausgedehnte Griechenlandreise. Allmählich kristallisierte sich für die Fotografin die Mitte des globalen Dorfes heraus, das in aller undeutlichen Begrifflichkeit seit 1989 immer wieder für Missverständnisse sorgt: Es ist ein Dorfplatz, auf dem die Geschichte von der Sintflut bis zur Apokalypse immer wieder neu verhandelt wird, von Mensch zu Mensch, im Kleinsten und im Größten.
Die Lateiner, deren Lebensraum vom Euphrat bis zum Rhein eine Welt war, nannten das Mittelmeer „Mare Nostrum“ – unser Meer. Diese nachbarschaftliche Idee hat die Fotografin lange begleitet; aber es hat sie nicht davon abgehalten, die Wahrnehmungen ihrer eigenen Zeit mit den Wahrnehmungsmustern früherer Epochen kollidieren zu lassen. „Orakel von Delphi“ (Katalog Last Minute S. 45) ist ein Beispiel dafür; noch dazu eines,
das verläßliche Positionen der Weiblichkeit jenseits zeitgenössischer Geschwätzigkeit schafft.
Aus gegenwärtigem Abstand betrachtet, beginnt das in großen Teilen zwischen 2000 und 2001 auf Mallorca entstandene Arbeitsprojekt „Mare Nostrum“ während dieser Griechenlandreise. Und es erhält neue Impulse während längerer Aufenthalte in Südfrankreich 1995, 97 und 98.
1996 gibt es einen überraschenden Perspektivwechsel auf den Kulturraum Mittelmeer, der sich mit einer im Wortsinn erschütternden Reise durch Israel verbindet. Darauf wird im Bildkommentar „Bethlehem“ später eingegangen.
Die Erforschung europäischer Wurzeln, die tief in die Geschichte Israels reichen und mit dem dortigen Wurzel-werk ebenso verbunden sind wie mit griechisch-römischen Wurzeln, prägt denn auch die Arbeit bis zum Ende der 90iger Jahre und gerät zu einer immer drängender werdenden Befragung der Gegenwart.
Parallel zu diesem Prozess verwandelt sich allmählich die auf ein allegorisches Erfassen und Darstellen abend-ländischer Formeln gerichtete Kunstauffassung. Die Allegorie macht der Wirklichkeit Platz, und Wirklichkeit wird zur Allegorie auf das Vorübergehende, das Fragile, auch zu einem Ausdruck neuen Sehens. Dem Bild wird mehr Autonomie eingeräumt, was rückwirkend eine schrittweise Befreiung des eigenen Selbstverständnisses von vorgestellten Modellierungen bewirkt.
Klar ausgedrückt ist dies im Bild „Migjorn“ – so die Bezeichnung einer Landschaft auf Mallorca am Fuße des Berges Randa. Hier fehlt jede Symbolik, das Bild ist sich selbst hingegeben und atmet friedlich unter der dünnen Haut von Bezeichnung und geographischer Bestimmbarkeit. Die gelben Mutterblumen sorgen für einen optischen Reiz, der sanfte Schwung der Landschaft teilt sich mit – aber es gibt kein Dahinter, keinen Kontext, keinen Subtext oder Bezugsrahmen, den man kennen müsste, um das Bild interpretieren und verstehen zu können. Das Fraglose wird zur Voraussetzung für die Bildbetrachtung: Damit ist ein antipodischer Punkt im Werk der Fotografin fixiert.
Aber die Einkehr in die reine Luft der Meditation bildet innerhalb der hier vorgestellten Bildauswahl eher einen Aspekt von Anschauung als einen Endpunkt.
Im Bild „Suave Mente“ bringt ein Detail – das Handtuch – mit ruhigem Schwung das Karussell der Assoziationen erneut in Gang: Das Handtuch, wohl nach dem Bade fallengelassen, unterbricht die Ordnung des Bildraumes, der als Chiffre für einen Kulturraum gelesen werden kann: Kultur als Abgrenzung des Menschen von der Natur. Gleichwohl formt die Künstlerin eine neue Ordnung, die sich allein auf den Bildraum bezieht und so das Thema der Abgrenzung durch die Schaffung einer zweiten Kunstwelt aufnimmt und auf poetische Weise in die Schwebe bringt.
suave mente, Mallorca 2000